- 13.11.2015, 12:23:30
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EFSA-Bewertung von Glyphosat verletzt EU-Recht
Politische Motive hinter pseudowissenschaftlicher Bewertung?
Utl.: Politische Motive hinter pseudowissenschaftlicher Bewertung? =
Wien (OTS) - Die gestern veröffentlichte EFSA-Bewertung des
Wirkstoffs Glyphosat als “nicht krebserregend“ folgt bis ins Detail
der Argumentation des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung
(BfR) und widerspricht damit erneut der im Frühjahr erfolgten
Einstufung durch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC)
der WHO als „wahrscheinlich für den Menschen krebserregend“.
Als eine zentrale Ursache für die Diskrepanz zwischen den
europäischen Zulassungsbehörden und der WHO identifizierte der
deutsche Toxikologe und Vorstand des Pestizid Aktions Netzwerks PAN,
Peter Clausing, die unterschiedlichen Bewertung von fünf
Langzeit-Krebsstudien an Mäusen, die von den PestizidherstellerInnen
im Rahmen des Zulassungsverfahrens eingereicht worden waren und führt
dieses Diskrepanz auf grobe Verletzungen der gesetzlich definierten
Leitlinien zur Bewertung des Krebsrisikos durch die europäischen
Zulassungsbehörden zurück. 1
Chemische Industrie und Zulassungsbehörden tricksten mit
Statistik
Kurz zusammengefasst: Während 17 unabhängige internationale
ExpertInnen der IARC einhellig eine statistisch signifikante
Tumorhäufung in allen fünf Mäusestudien bei Verabreichung von
Glyphosat feststellten, hatten die RisikobewerterInnen des BfR wenige
Monate davor in den selben Studien angeblich „keine Hinweise auf eine
krebserregende Wirkung bei Tieren“ gefunden. Konfrontiert mit der
wissenschaftlichen Analyse der WHO-ExpertInnen ruderte das BfR
zurück: Man habe sich bei den fünf Mäusestudien auf die von der
Industrie mit den Versuchsdaten mitgelieferte statistische
Interpretation der Ergebnisse „verlassen“. Mit der von den
PestizidherstellerInnen angewendeten statistischen Methode hätte sich
nämlich kein signifikanter Zusammenhang zwischen
Glyphosatverabreichung und Tumorhäufigkeit ergeben. Gleichzeitig
räumte das BfR ein, dass bei Anwendung eines anderen statistischen
Tests in allen 5 Mäusestudien eine signifikante Tumorhäufung
feststellbar sei. Dieser ’andere’ Test, ist jenes Verfahren, das die
Krebsforscher der WHO angewendet hatten und das seit 2012 in der EU
explizit empfohlen wird !2
„Doch wer nun erwartet hätte, dass das BfR im Lichte dieser neuen
Erkenntnis die WHO-Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich
krebserregend“ endlich anerkennt, wurde eines Besseren belehrt“,
erklärt Helmut Burtscher, Umweltchemiker der österreichischen
Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000: „Als nun feststand, dass Mäuse,
die Glyphosat erhielten, signifikant mehr Tumoren entwickelten, als
Mäuse, denen kein Glyphosat verabreicht wurde, wechselten die
RisikobewerterInnen die Strategie: Sie zweifelten nun in jeder
einzelnen der fünf Industriestudien die Plausibilität der jeweiligen
„Negativkontrolle“ an und ’korrigierten’ die fehlende oder geringe
’spontane’ Tumorhäufigkeit bei den unbehandelten Mäusen nachträglich
nach oben. Möglich wurde dies durch die Hinzunahme von sogenannten
„historischen Kontrolldaten“. Damit ließ sich die (spontane)
Tumorhäufigkeit bei den nicht mit Glyphosat behandelten Mäusen soweit
nach oben „korrigieren“bis der Unterschied zu den
Glyphosat-belasteten Mäusen unter die Signifikanz-Schwelle rutschte.
„Mit diesem Vorgehen hat sich die oberste Europäischen
Zulassungsbehörde für Pestizide als idealer Anwärter für das Prädikat
'Junk Science' - zu deutsch 'Schrottwissenschaft' – qualifiziert,
welches der Weltmarktführer Monsanto fälschlicherweise der IARC
anlässlich ihrer Kanzerogentitäts-Einstufung von Glyphosat umhängen
wollte“, sagt Burtscher: „Zwar ist die Hinzunahme von historischen
Kontrolldaten unter bestimmten, klar definierten Voraussetzungen
zulässig. Doch wie aus der Analyse von Clausing hervorgeht,
verstießen die Zulassungsbehörden gleich mehrfach gegen diese
Vorgaben und Voraussetzungen.
Gesetzliche Notwendigkeit versus handelspolitische
Implikationen
Die turnusmäßig anstehende Zulassungsverlängerung des weltweit meist
verkauften Pestizids Glyphosat ist laut EU-Verordnung 1107/2009 nur
dann möglich, wenn das Pestizid kein Kanzerogen der Klasse 1a oder 1b
im Sinne der EU-Verordnung CLP 1272/2008 ist. Konkret bedeutet das:
Glyphosat darf in der EU nicht mehr zugelassen werden, wenn in
mindestens zwei unabhängigen Tierversuchen ein kausaler Zusammenhang
zwischen dem Pestizid und der Häufigkeit maligner Tumoren
feststellbar ist. Nun liegt aber nach Einschätzung der IARC dieser
nachweisliche kausale Zusammenhang in allen fünf Mäusestudien vor.
Somit wäre ein europaweites Verbot für das weltweit am häufigsten
eingesetzte Pestizid unausweichlich. In weiterer Folge müssten
dadurch auch die in der EU zugelassenen Höchstmengen von
Glyphosat-Rückständen in Lebensmitteln, die in den letzten zehn
Jahren schrittweise angehoben worden waren, wieder auf Null
herabgesetzt werden. Glyphosat-belastete Lebensmittel – das betrifft
fast alle gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel aus
Südamerika und den USA– dürften dann nicht mehr eingeführt werden.
„Möglicherweise sind also die erwartbaren handelspolitischen -
Stichwort TTIP - und wirtschaftlichen Implikationen eines
europäischen Verbots der wahre Hintergrund der kreativen aber
keineswegs wissenschaftlich fundierten Risikobewertung durch die
europäischen Zulassungsbehörden“, schließt Burtscher: „Doch in
Anbetracht eines von der WHO als wahrscheinlich eingestuften
Krebsrisikos für den Menschen, das sowohl AnwenderInnen als auch
KonsumentInnen betrifft, ist eine solche Vorgehensweise der obersten
europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, nicht nur aus
wissenschaftlicher Perspektive sondern auch unter moralischen und
ethischen Gesichtspunkten inakzeptabel.“ , so Burtscher abschließend.
1)
http://www.pan-germany.org/download/PAN_Germany_Addendum_analysis_091
12015.pdf
2) OECD (2012): Guidance Document 116, S. 123:
http://www.oecd.org/officialdocuments/displaydocument/?cote=ENV/JM/MO
NO(2011)47&doclang uage=en
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