- 10.11.2015, 09:47:15
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Gegen eine Kriminalisierung des ärztlichen Berufsstandes. Die Justiz darf nicht ärztliche Therapiemaßnahmen diktieren.
Der Verband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs (FASIM) wendet sich an die Öffentlichkeit - Einladung zum Pressegespräch
Utl.: Der Verband der intensivmedizinischen Gesellschaften
Österreichs (FASIM) wendet sich an die Öffentlichkeit -
Einladung zum Pressegespräch =
Wien (OTS) - „Wir sind zutiefst betroffen, dass die 79-jährige Frau
gestorben ist“, so FASIM-Präsident Univ. Prof. Dr. Claus Krenn, „aber
wir wehren uns entschieden dagegen, dass Kollegen aufgrund eines
„pathologischen“ Gutachtens kriminalisiert werden, - auch das macht
uns betroffen“. Prof. Krenn verweist auf einen derzeit in der
Öffentlichkeit diskutierten Fall: ein Anästhesist soll einer
Patientin eine so hohe Dosis Morphin als Infusionen verabreicht
haben, dass die Frau laut einem Gerichtsgutachten eines
Pathologen/Toxikologen daran gestorben ist.
Der Verweis auf ein Gutachten eines „Pathologen“ in der
Urteilsbegründung blendet aber wesentliche andere medizinische und
ethische Aspekte aus - „denn bei diesen Gutachten wird nur auf
bestimmte Parameter Bezug genommen, wie etwa welche Mengen an
Substanzen im Körper festgestellt werden können; aber dein Pathologe
kennt weder den lebenden Patienten, noch die Krankengeschichte und
war auch nicht dabei als konkrete Maßnahmen ergriffen werden
mussten“, ergänzt Krenn. Pathologische Gutachten sind rekonstruktive
Verfahren, die bestimmte Faktoren erfassen, aber nicht die Gesamtheit
der therapeutischen Maßnahmen und vor allem deren
Entscheidungsgrundlagen. Es muss die Breite des Faches durchmessen
werden, damit nachvollzogen werden kann, was in bestimmten
Lebenssituationen die angemessene Behandlung für den Patienten ist.
Die dabei zu treffenden Entscheidungen zwischen Leben und Tod sind
schwierig und müssen zudem oft unter Zeitdruck von den betreuenden
Ärzten getroffen werden.
Inter- und transdisziplinär Befasste: Justiz,
Palliativmedizin, Anästhesie und Intensivmedizin
Alle damit Befassten verwehren sich dagegen, dass Ärztinnen und Ärzte
von der Justiz indirekt gezwungen werden sollen, alle zur Verfügung
stehenden lebenserhaltenden Therapien immer und pauschal anwenden zu
müssen. Denn es geht um die Gebotenheit ärztlicher Therapie, das
Patientenwohl und damit auch um Therapiebegrenzungen. Primar Univ.
Prof. Dr. Andreas Valentin, Mitglied der Bioethik-Kommission der
Bundesregierung, betont die Wichtigkeit einer öffentlichen Diskussion
von ethischen Fragestellungen in der Medizin und der Würde beim
Sterben. „Für uns Intensivmediziner ist es entscheidend, dass
Patienten am Lebensende begleitet werden, dass individuell
entschieden wird, wie letztendlich ein menschenwürdiges Sterben
ermöglicht wird. Diese Frage stellt sich auch bei Maßnahmen, die für
Patienten möglicherweise mehr Belastung als Nutzen darstellen“, so
Valentin. Dabei ist ein breiter Konsens anzustreben, der Basis für
ein angemessenes Vorgehen ist, das aber nicht allein durch rechtliche
Verbindlichkeiten hergestellt werden kann.
So hat auch der gegenwärtige Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter
1988 zur Frage der Begrenzung medizinischer Behandlungsflicht und das
Selbstbestimmungsrecht des Patienten argumentiert: „Alles in allem
kann man davon ausgehen, dass die österreichischen Gerichte und
Staatsanwaltschaften im Regelfall bei wirklich schwierigen
Fallkonstellationen sowie bei Extremsituationen erfreulicherweise
durchaus zurückhaltend sind. Dies ist auch richtig so. Medizinische
Extremsituationen kann man mit strafrechtlichen Mitteln nicht
wirklich vernünftig bewältigen, hier tut das Strafrecht gut daran,
Vorsicht und Zurückhaltung zu üben.“ Hinter diese Erkenntnis dürfen
die gesetzlichen Regelungen nicht zurückfallen.
Es geht um die Beurteilung der Angemessenheit des Vorgehens, es geht
um individuelle Entscheidungen und einen Behandlungs- und damit auch
Ermessensspielraum im Rahmen eines Rechtssystems, und darum dass
Ärztinnen und Ärzte nicht vor dem Hintergrund agieren müssen, „dass
sie immer mit einem Fuß im Kriminal stehen“, so wie es konsultierte
Juristen auf den Punkt bringen.
Wenige Patientenverfügungen, große Wissensdefizite,
Entscheidungsdelegation an Ärzte und Angehörige
Eine große Rolle spielt dabei, dass sich die meisten Menschen keine
Gedanken über eine Patientenverfügung machen, dies zeigt nicht
zuletzt eine Studie aus dem Jahr 2014 über „Rechtliche
Rahmenbedingungen und Erfahrungen bei der Umsetzung von
Patientenverfügungen“: nur 4 Prozent der österreichischen Bevölkerung
hat derzeit eine Patientenverfügung. Und die Menschen sind viel zu
wenig informiert - „die Diskussionen brechen immer dann wieder auf,
wenn konkrete Fälle in den Medien verhandelt werden“, sagt Univ.
Prof. Dr. Petra Innerhofer – Präsidentin der ÖGARI und damit
Kongresspräsidentin der derzeit stattfindenden Jahrestagung aller
Anästhesisten und Intensivmediziner Österreichs (AIC 2015) in
Schönbrunn, „wichtig wäre es, dass sich die Menschen bewusster mit
den Möglichkeiten und Grenzen intensiv- und palliativmedizinscher
Maßnahmen befassen“. Für Primar Valentin ist es notwendig zu
verstehen, dass „nicht die Effizienz der modernen medizinischen
Technologie die Würde des Menschen determiniert, sondern dass die
Achtung vor dem Leben nur in Einzelentscheidungen abgewogen und
letztlich getroffen werden kann“. Dazu muss ein gesellschaftlicher
Aufklärungs- und Bewusstseinsprozess gestartet werden, um diese
sensiblen Fragen mit allen Betroffenen zu diskutieren. Der Verband
der Intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs (FASIM) möchte
mit allen Beteiligten diesen Diskurs führen.
Gegen eine Kriminalisierung des ärztlichen Berufsstandes. Die Justiz darf nicht ärztliche Therapiemaßnahmen diktieren. Gesprächspartner: - Univ.-Prof. Dr. Barbara Friesenecker, Allgemein-Chirurgische Intensivstation, Medizinische Universität Innsbruck - Univ.-Prof. Dr. Claus G. Krenn, FASIM-Präsident, Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, AKH Wien - Univ. Doz. Dr. Petra Innerhofer, ÖGARI-Präsidentin, Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck - Primar Univ.-Prof. Dr. Andreas Valentin, MBA, Leiter der Abteilung Innere Medizin Krankenhaus Schwarzach im Pongau, Mitglied der Bioethik-Kommission der Bundesregierung Datum: 13.11.2015, um 11:00 Uhr Ort: Raum Maximilian Tagungszentrum und Orangerie Schönbrunn Schönbrunner Schlosssstraße 47, 1130 Wien
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