• 04.11.2015, 15:59:25
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  • OTS0163 OTW0163

Qualität, Rechtssicherheit & Haftung

Die Arbeit der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Buchsachverständigen

Utl.: Die Arbeit der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte und Buchsachverständigen =

Wien (OTS) - Ca. 100 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte und Buchsachverständige diskutierten kritisch beim
Symposium des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen,
Landesverband Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Auf Initiative des Buchsachverständigen Prof. Mag. Rudolf Siart
veranstaltete der Hauptverband der Gerichtssachverständigen,
Landesverband Wien, NÖ und Bgld. am 29. Oktober 2015 im Festsaal des
Justizpalastes ein interdisziplinäres Symposium zum Thema „Die Arbeit
der Richter, Staatsanwälte und Buchsachverständigen“. Schwerpunkte
dieser mit fast 100 teilnehmenden Richterinnen und Richtern,
Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und Sachverständigen
hervorragend besuchten Diskussionsveranstaltung waren die
Themenkomplexe Qualität, Rechtssicherheit und Haftung.

Das Seminar wurde vom Präsidenten des Hauptverbandes der
Gerichtssachverständigen, Landesverband Wien, NÖ und Bgld, Hon.Prof.
Dipl.-Ing. Dr. Kurt Judmann eröffnet. Er wies auf die Bedeutung der
Qualitätssicherung für die Tätigkeit der rd. 8000 Sachverständigen
hin, die in den Landesverbänden organisiert sind. Besonders bei den
in Wirtschaftsverfahren tätigen Sachverständigen hat die Sicherung
der erforderlichen Qualität wegen der zunehmenden Komplexität der
Sachverhalte einen hohen Stellenwert.

„Es gilt die Kommunikation aller an Zivil- und Strafverfahren
beteiligten Akteure zu optimieren“, „und andererseits auch den
Austausch über aktuell strittige Themen und in der Öffentlichkeit
missverstandene Fragen zu vertiefen“ betonte eingangs auch Siart.

Mag. Eva Marek, Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien, gratulierte
eingangs den Veranstaltern zur mutigen Entscheidung, gerade auch
Missverständnisse und Ärgernisse anzusprechen und beleuchtete die
jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, deren Thema
natürlich auch der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“ sein
müsste.

Der Präsident des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen,
Vis.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Matthias Rant kritisierte, dass in den
letzten Jahren das Bild der Justiz und der Sachverständigen in den
Medien zu Unrecht gelitten habe, weil Vieles nur aus dem Zusammenhang
gerissen dargestellt worden sei. Schließlich warnte Rant davor, dass
ein überzogenes Sparen im Justizbereich letztlich auch Auswirkungen
auf die Stabilität und Qualität dieser Säule der Republik haben muss.

Staatsanwalt Mag. Michael Radasztics, Co-Leiter der Wirtschaftsgruppe
der Staatsanwaltschaft Wien, sprach in seinem Impulsreferat ebenfalls
das systematische „Anpatzen“ von Staatsanwälten und Sachverständigen
in jüngster Zeit an, und zeichnete in seinem Eingangsstatement ein
eher düsteres Bild von der aktuellen öffentlichen Meinung gegenüber
dem Justizwesen. „Ziel der Staatsanwaltschaft ist es jedoch nicht,
Menschen einzusperren, sondern das Finden der materiellen Wahrheit.“
Dazu bedarf es Experten und Sachverständige.

Dr. Gernot Kanduth, Vizepräsident der Vereinigung der
österreichischen Richterinnen und Richter, referierte zum Einstieg
seine Praxissicht auf die Sachverständigentätigkeit als Richter des
Landesgerichts Klagenfurt. Dabei benannte er die Schwierigkeit des
mit Rechtswissen ausgestatteten Richters, speziell in der ersten
Instanz auch das für die Aufklärung eines Sachverhalts notwendige
Fachverständnis aufzubringen. Hieraus ergibt sich der Bedarf an
externer Hilfe. Sehr deutlich sprach Dr. Kanduth die
Aufgabenverteilung zwischen Richterinnen und Richtern und
Sachverständigen an: Die Beweiswürdigung und das Lösen von
Rechtsfragen sind dem Gericht vorbehalten, Pflicht des
Sachverständigen ist es insbesondere, in verständlicher Sprache
Erfahrungssätze zu vermitteln und fachlich fundierte
Schlussfolgerungen darzulegen.

Mag. Johann Guggenbichler, Richter des Oberlandesgerichts Wien,
widmete sich in seinem Vortrag der Haftungsproblematik der
Sachverständigen, zumal in letzter Zeit immer öfter von Beschuldigten
und Angeklagten zivilrechtlich gegen staatsanwaltlich oder
gerichtlich bestellte Gutachter auf Schadenersatz geklagt wurde.
Dabei ging er speziell auf den heranzuziehenden Sorgfaltsmaßstab und
die Wichtigkeit einer einwandfreien Dokumentation und Begründung der
Methode ein. Weiters betonte er, wie wichtig die Verständlichkeit des
Gutachtens sei: „Unverständliche aber richtige Gutachten sind
eigentlich falsch, wenn sie nur missverstanden werden können.“

Ein weiteres heißes Eisen – den Gebührenanspruch – griff Dr.
Alexander Schmidt, Vizepräsident des Handelsgerichts Wien, in der
Folge auf.
Für Unruhe sorgen derzeit in ganz unterschiedliche Richtungen gehende
Gerichtsentscheidungen über den Ersatz der Kosten der von
Sachverständigen beigezogenen Hilfskräfte. Hier gibt es derzeit keine
Planungssicherheit. Zahlreiche Sachverständige überlegen, keine
gerichtlichen Aufträge mehr anzunehmen, da mitunter nur die bloßen
Lohn- und Lohnnebenkosten der Hilfskräfte ersetzt werden, während in
komplexen Großverfahren Hilfskräfte oft monatelang, manchmal sogar
jahrelang zu vollen betriebswirtschaftlichen Kosten beschäftigt
werden müssen.

Dies bedeutet in der Praxis aber, dass der beauftragte
Buchsachverständige wirtschaftlich unvernünftig handeln muss, um mit
Hilfskraftunterstützung Gutachten binnen angemessener Frist
fertigstellen zu können. Es herrscht Einigkeit, dass das noch vom
allein tätigen ausgehende GebAG 1975 einer dringenden Anpassung an
die aktuellen Rahmenbedingungen von komplex gewordenen Gutachten in
Wirtschafsverfahren bedarf.

Staatsanwalt Mag. Michael Radasztics skizzierte die Erwartungen der
Staatsanwaltschaft an den Buchsachverständigen. Dabei stellte er die
beiden Idealtypen der Arbeit zwischen Staatsanwaltschaft und
Sachverständigen, „Black Box“ versus „aktive Einbindung Mitarbeit des
Sachverständigen“, im Lichte der jüngsten VfGH-Entscheidung (der
Sachverständige als „Zeuge der Anklage“) dar. Ebenso betonte Mag.
Radasztics, dass die Qualität aus Sicht des Adressaten nicht zwingend
mit dem Seitenumfang des Gutachtens wächst, sondern von einer klaren
und verständlichen Sprache abhängig ist. Ebenso machte er klar, dass
es trotz regelmäßiger medialer Vorwürfe für die Staatsanwaltschaft
keine „Wunschergebnisse“ gibt, sondern Sachverständige aus Sicht der
Staatsanwaltschaft nach dem Grundsatz „was wiegt’s, das hat’s“ ihre
Gutachten erstellen sollen.

Der Buchsachverständige Dr. Thomas Keppert sprach das aus seiner
Sicht schwierige Verhältnis von Auftrag, Gutachten und Anklageschrift
an. Mitunter sind Gutachtensaufträge nicht ausreichend bestimmt, auch
weil dem Auftraggeber das Spezialwissen fehlt. Hier ist eine
frühzeitige Kommunikation zwischen Staatsanwalt bzw. Gericht und
Sachverständigem hilfreich. Ebenso wünschte sich Dr. Keppert ein Mehr
an Kommunikation nach Erstattung des Gutachtens, insbesondere für die
Vorbereitung des Sachverständigen auf die etwaige Hauptverhandlung.

Weiters sprach er die bei Wirtschaftsdelikten besonders ausgeprägte
Schwierigkeit an, dass der Sachverständige von Gesetzes wegen keine
Beweiswürdigung vornehmen und keine Rechtsfragen lösen darf und soll,
da dies dem Staatsanwalt bzw. Gericht vorbehalten ist. Jedoch ist die
Feststellung zB der betriebswirtschaftlichen (Un-)Sinnhaftigkeit
einer Unternehmerentscheidung immer auch ein Stück weit eine
Beurteilung zur subjektiven Tatseite und auch von gemischten
Rechtsfragen.

Zum Abschluss betonte Mag. Rudolf Siart, Buchsachverständiger, dass
bei hochkomplexen Themen zwei Gutachter durchaus zu zwei zumindest
teilweise verschiedenen Befunden kommen und dennoch der Sache dienen
können. Dies bedeutet aber für die Gerichtsverhandlungen mehr
Diskussionen über Sachfragen. Entscheidend sind aus seiner Sicht eine
klare und verständliche Formulierung, die Nachvollziehbarkeit der
Gutachten und eine profunde Begründung der gewählten Methode – nicht
nur aus Gründen der Haftung.
Weiters zeigte Mag. Siart anhand von Praxisfällen zu Fragen des
Schadenersatzes, der Unternehmensbewertung und der
Zahlungsunfähigkeit auf, dass betriebswirtschaftlich unverständliche
und stark zu kritisierende Herangehensweisen von Sachverständigen
tatsächlich eklatante Ergebnisunterschiede mit sich bringen können
und nicht zur Wahrheitsfindung beitragen.

Zuletzt sprach er potenzielle Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit
teilweise unbestimmten Gesetzesbegriffen in den neuen
Bilanzstrafrechtsbestimmungen (§§ 163 a - d StGB) an, die durch
Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu klären sein werden.

Bei der anschließenden Diskussion konnten weitere – mit klaren Worten
offen angesprochene –Anwenderfragen diskutiert werden. Rundum eine
Veranstaltung mit hohem Praxisbezug!

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