• 27.10.2015, 15:10:07
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EU-Parlament beschließt zweideutige Netzneutralitäts-Verordnung – Jetzt entscheiden Gerichte und Regulierungsbehörden

Wien/Straßburg (OTS) - Heute wurde im Europäischen Parlament in
Straßburg eine Verordnung beschlossen, die dem freien Internet eine
Absage erteilt. Trotz einer enormen Mobilisierung hat sich das
Parlament nicht von der Bevölkerung überzeugen lassen. Stattdessen
haben sich die Abgeordneten entschieden, nicht zu entscheiden. Wie
der mehrdeutige Text künftig ausgelegt wird, liegt jetzt an
Regulierungsbehörden und Gerichten. Große Unternehmen mit ihren
Lobbyisten haben sich durchgesetzt und damit den Weg für ein Internet
geebnet, das erschwerte Bedingungen für Startups und Innovationen
bietet, den freien Zugang zu Informationen erschwert und
Rechtsunsicherheit in Europa schafft. Die Bemühungen zahlreicher NGOs
wie EDRi (European Digital Rights) oder der Initiative für
Netzfreiheit waren nur punktuell erfolgreich. Jetzt geht es darum, zu
retten, was noch zu retten ist und besonders wachsam zu sein, wie die
neuen Regelungen in der Praxis umgesetzt werden.

"Mit der heutigen Abstimmung hat das Europäische Parlament sich ein
weiteres Mal den anderen EU-Institutionen untergeordnet. Viele
Abgeordneten haben mir gestern bestätigt, inhaltlich für die
Änderungsanträge zu sein. Ihre Befürchtung ist aber gewesen, dass der
Rat keinen anderen Text akzeptieren würde. Im Vorjahr hat sich das
Parlament diese Verordnung noch vor der EU-Wahl unter großem
Zeitdruck aufzwingen lassen und trotzdem das Beste daraus gemacht.
Der weltweit bejubelte Text ist dann vom Rat der 28
EU-Mitgliedsstaaten abgelehnt worden. Anstatt in der zweiten Lesung
den schwammigen Kompromiss zu diskutieren und zu reparieren, ist
dieser heute einfach nur abgenickt worden. Anstatt auf die
Bevölkerung zu hören, hat das Parlament als einzige direkt
demokratisch legitimierte Institution der EU sich von den anderen
Institutionen den Weg diktieren lassen", kommentiert Thomas Lohninger
von der Initiative für Netzfreiheit.

In den vergangenen Tagen und Wochen haben sich viele sehr bekannte
Persönlichkeiten dem Kampf für Änderungsanträge angeschlossen. Sir
Tim Berners-Lee, der Gründervater des Word Wide Web, der
US-Präsidentschafts-Kandidat Lawrence Lessig, die weltweit
renommierteste Wissenschaftlerin zum Thema Netzneutralität Barbara
van Schewick und viele Tausende Bürgerinnen und Bürger über die
Kampagne SaveTheInternet.eu http://savetheinternet.eu/ und
BattleForTheNet.com https://www.battleforthenet.com/ haben sich sehr
deutlich gegen eine Verwässerung eines der wichtigsten
Grundprinzipien des Internet ausgesprochen. Trotz dieser enormen
Mobilisierung hat das Parlament gegen den Willen der Bevölkerung
entschieden.

Wo stehen wir heute?

Das Europäische Parlament hat heute einem mehrdeutigen Text
zugestimmt, der in allen 28 Mitgliedsstaaten Gesetz wird. Diese
Mehrdeutigkeit ist ein demokratisches Versagen, weil nun
Regulierungsbehörden und Gerichte diesem Text erst konkrete Bedeutung
geben müssen. Zunächst wird das Gremium der Europäischen
Regulierungsbehörden (BEREC) Guidelines erstellen, die einen Großteil
des Interpretationsspielraums ausfüllen. In diesem Prozess wird es
Anhörungen und eine Konsultation geben. Die Organisatoren der
Kampagnen für eine starke Netzneutralität werden sich in diesen
Prozess als Experten und Vertreter der Zivilgesellschaft einbringen.

"Meine Befürchtung ist, dass mit diesem Text schlechte
Regulierungsbehörden viele Ausreden bekommen, warum sie nicht gegen
Verstöße gegen die Netzneutralität vorgehen können. Gleichzeitig
können sich gute Regulierungsbehörden, die gegen Verstöße der
Nutzerrechte vorgehen, vor Gericht wiederfinden, und für ihr Handeln
verklagt werden", so Lohninger.

Die heute geschaffene Rechtsunsicherheit ist pures Gift für
Innovationen und Investments in die europäische Digitalwirtschaft.
Wagniskapital-Geber haben bereits angekündigt mit dieser Verordnung
bald nicht mehr in Europäische Startups investieren zu wollen.

Nun sind drei Dinge zu tun

1) BEREC bestmöglich bei der Erstellung der Guidelines unterstützen
und die Vorstöße der Telekom-Lobby
http://www.ots.at/redirect/martingeddes mit vernünftigen Argumenten
entkräften

2) Genaues Monitoring der Auswirkungen dieses Gesetzes in Europa und
für die Digitalwirtschaft

3) Auf die Kommission einwirken, diese Verordnung so schnellstmöglich
zu reparieren.

"Heute ist ein schwarzer Tag für Europa, für die Netzpolitik und alle
Internet-Nutzer. Aber wir geben nicht auf. Die USA haben auch zwei
Anläufe gebraucht, um letztendlich zu einer guten und stabilen
Netzneutralitäts-Regelung zu kommen", sagt Lohninger abschließend.

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