• 27.10.2015, 10:36:45
  • /
  • OTS0039 OTW0039

Finger weg vom Funkhaus!

Offener Brief an den Stiftungsrat des ORF und Medienminister Josef Ostermayer

Utl.: Offener Brief an den Stiftungsrat des ORF und Medienminister
Josef Ostermayer =

Wien (OTS) - Wir fordern Sie dringend auf, den Verkauf des Wiener
Funkhauses und die stückweise Demontage des Kultursenders Ö1 in
letzter Minute zu stoppen.

Die 84.358 UnterzeichnerInnen der Avaaz-Petition für den Erhalt von
Ö1 haben Recht:
Dieser demokratie- und kulturpolitisch so wichtige Sender ist in
Gefahr. Gefährdet erscheint sogar - entgegen den Beteuerungen der
Verantwortlichen - das Funkhaus als Baudenkmal und Kulturstandort.
Was sich jetzt anbahnt, übertrifft alle Negativ-Prognosen.

Drastisches Sparpaket 2016 auch für Ö1  

Ö1 soll bereits 2016 bis zu 1,3 Millionen Euro einsparen! Das ist nur
durch Streichung ganzer Sendereihen möglich. Und das wird erst der
Anfang sein.
Denn die ORF-Geschäftsführung will durch die Umsiedlung der Radios
ins ORF-Zentrum am Küniglberg 10 Millionen Euro jährlich ab 2025
einsparen. Das kann nur durch Reduktion von Personal und
Programmbudgets gehen. Dies trifft ganz besonders Ö1 und die anderen
Radiosender, die budgetär wie personell ohnehin traditionell
benachteiligt sind.

Funkhaus-Verkauf keine Ersparnis

Die ORF-Geschäftsführung behauptet seit Jahr und Tag, eine
Konzentration am Küniglberg samt Errichtung eines Zubaus käme
strukturell billiger als die Erhaltung des Funkhauses. Diese
Behauptung beruht auf "hingebogenen" Zahlen, wenn nicht auf einer
Kostenlüge. Die entsprechenden internen Unterlagen (die uns vorliegen
und die wir prüfen haben lassen) enthalten unsinnige Rechenmodelle
und Annahmen.
So wird zum Beispiel eine unrealistisch hohe Summe für eine
"Sanierung" des Funkhauses angesetzt, das in seiner Bausubstanz gar
nicht sanierungsbedürftig ist.

Wackelt Denkmalschutz für Funkhaus? Verkauf nur an
kommerziellen Verwerter

Der ORF will das Funkhaus veräußern, hat aber durch das Kolportieren
solcher Zahlen den Wert der Immobilie nach unten gedrückt, zum
Schaden der GebührenzahlerInnen.
Nun kommt das Haus zu einem weit unter dem Wert liegenden Preis auf
den Markt. 18 Millionen Euro ist der Mindestpreis - da verscherbelt
die ORF-Führung das Tafelsilber.
Welcher Verwerter wird damit hohe Profite einfahren?
 In den am 24.10.2015 erschienenen Inseraten wird das Funkhaus als
"vorläufig denkmalgeschützt" bezeichnet. Wenn die Funktion als
Radiohaus nicht mehr gegeben ist, wird es einem Investor sicherlich
leichter fallen, den Denkmalschutz zumindest teilweise außer Kraft zu
setzen.  Auch die Zukunft des Radiokulturhauses - der Standort des
RSO Wien - wird auf Dauer keineswegs gesichert sein. Denn der
Rest-Kulturstandort Funkhaus wird mit der Schließung der
Radiobereiche an Lebendigkeit und damit an Attraktivität verlieren.

Ausschreibung mit Hintergedanken 

Die extrem kurze Ausschreibungsfrist von 19 Tagen (die durch die
Veröffentlichung an einem langen Wochenende de facto auf 16 Tage
schrumpft) bestätigt unsere Vermutungen, dass der Käufer bzw. ein
sehr kleiner Kreis von potentiellen Käufern längst feststeht. Die
Ausschreibung ist so formuliert, dass in Wahrheit nur kommerzielle
Verwerter in Frage kommen ("...Angaben zur Finanzkraft des
Unternehmens sowie eine detaillierte Darstellung der Erfahrungen in
vergleichbaren Transaktionen..."), nicht aber beispielsweise
Kulturinstitutionen oder andere im öffentlichen Interesse agierende
Anbietergruppen.

Ö1 im Cluster wird leiden

Ö1 soll in einer multimedialen Clusterstruktur mit den
Schwesterbereichen des Fernsehens (Information, Kultur, Wissenschaft,
Religion) zusammengeführt werden.
Diese Cluster sollen jeweils einer Leitung unterstellt werden. Damit
wird es die zugesicherte Autonomie von Ö1 nur mehr auf dem Papier
geben. Dazu wird der massive Spardruck seinen Teil beitragen: Es wird
schlicht so wenig Personal geben, dass Themen nicht mehr eigenständig
für Ö1 erarbeitet werden können.
Zumal die Geschäftsführung laufend gerade im Fernsehbereich
zusätzliche Kanäle und Programme (Beispiel: Frühstücksfernsehen)
kreiert, was zwangsläufig auf Kosten der bestehenden Formate gehen
muss.
Das Radio kann und muss den ganzen Sendetag über flexibler reagieren
können als das Fernsehen. Zum Wesen von Ö1 und den Radios allgemein
gehört eine besondere Aktualität und BürgerInnennähe. Das würde durch
die Umsiedlung von Ö1 verhindert.
Eine Reduktion der Sendungen von Ö1 stellt eine massive
Beeinträchtigung des Kultur- und Wissenschaftsstandortes Österreich
dar.

Öffentlichkeit und Belegschaft stehen hinter dem Anliegen

Die Kultur- und Wissenschaftselite der Kulturnation Österreich sowie
eine Reihe namhafter Wirtschaftsexperten wollen Ö1 und das Funkhaus
erhalten wissen. Und nicht zuletzt die HörerInnenschaft - das zeigt
die Avaaz-Petition.
Fast die gesamte Belegschaft von Ö1, zu großen Teilen auch jene von
FM4 und Radio Wien, hat im März einen Offenen Brief gegen die
Funkhaus-Schließung unterschrieben.
Auch der ORF-Redakteursrat hat mittlerweile wegen offensichtlich
politisch motivierter Besetzung von redaktionellen Leitungsfunktionen
der Geschäftsführung das Misstrauen ausgesprochen. 

Der Redakteursrat spricht sich aus demselben Grund gegen die
Etablierung eines zentralen, medienübergreifenden Infochefs aus, wie
sie nach wie vor geplant ist (als "Wahlkampfgeschenk" an die
Parteien, im Hinblick auf die Generaldirektors-Wahlen 2016?). 
Die sogenannte "Konsolidierung" am Küniglberg ist keine, weil sie
keine Ersparnis bringt.
Die Konsolidierung ist ein hohes Risiko von zusätzlichen Kosten für
die GebührenzahlerInnen, und eine unwiederbringliche Zerstörung von
Ö1 in seiner gegenwärtigen Qualität.

Unterzeichnende

Karl Markovics, Regisseur, Schauspieler 
Gerhard Roth, Schriftsteller
Stephan Schulmeister, WIFO
Ute Woltron, Publizistin
Katharina Stemberger, Schauspieler
Ulrich Körtner, Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Institut
für  Systematische Theologie, Universität Wien
Robert Menasse, Schriftsteller
Eva Blimlinger, Rektorin Akademie der Bildenden Künste
Johannes Voggenhuber, ehem. Mitglied des EU-Parlaments
Robert Palfrader, Kabarettist 
Florian Scheuba, Kabarettist
Erwin Steinhauer, Schauspieler 
Gregor Seberg, Schauspieler
Willi Resetarits, Sänger
Lukas Resetarits, Sänger
Thomas Maurer, Kabarettist
Herta Wessely, Aktion 21 Vereinigte Bürger_innen-Initiativen
Isolde Charim, Philosophin und Publizistin
Doron Rabinovici, Schriftsteller
Sabine Gruber, Schriftstellerin, Vorstand Grazer Autorenversammlung
Julya Rabinowich, Schriftstellerin
Johann Schelkshorn, Institut für Christliche Philosophie, Universität
Wien
Ulrich Brand, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
Markus F. Peschl, Cognitive Science Research Platform, Universität
Wien
Franzobel, Schriftsteller
Josef Hader, Schauspieler, Kabarettist
Wolfram Berger, Schauspieler
Andreas Vitasek, Kabarettist
Peter Simonischek, Schauspieler
Brigitte Karner, Schauspielerin
Willy Puchner, Künstler
Fabian Eder, Regisseur 
Herwig Kempinger, Präsident der Wiener Secession 
Deborah Sengl, Künstlerin
Edgar Honetschläger, Künstler
(Stand 27.10., 9h)

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NEF

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel