Wien (OTS) - Der Senat 1 des Presserats beschäftigte sich mit dem
Artikel "‘Alarmstufe Rot‘ bei der Polizei", erschienen auf Seite 5
der "Kronen Zeitung" vom 21.06.2015. Der Artikel verstößt nach
Meinung des Senats gegen Punkt 2 des Ehrenkodex für die
österreichische Presse, wonach Nachrichten korrekt wiedergegeben
werden müssen.
In dem gerügten Artikel wird über den Amokfahrer in Graz berichtet.
Obwohl es sich laut Artikel bei dem mutmaßlichen Täter "um einen
‚psychotisch Kranken mit Verfolgungswahn‘" handle, werde nun sein
Umfeld überprüft; erst vorigen Herbst sei unter anderem in Graz eine
große Razzia gegen die Islamisten-Szene durchgeführt worden, wobei
der Amoklenker nicht zu den Verdächtigen dieser Razzia zähle. Der
Mann sei "[l]aut derzeitigem Ermittlungsstand kein Mitglied einer
Islamistengruppe, doch sein blindwütiges Vorgehen gegen völlig
unbeteiligte Passanten … [trage] leider auch die schreckliche
Handschrift von Dschihadisten-Einzelkämpfern."
Weiters wird berichtet, dass der Direktor des Bundesamts für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung im Zuge des Anschlages
auf "Charlie Hebdo" gewarnt habe, dass Terrorismus auch mit Messern
oder Autos stattfinden könne, weshalb die Polizei nun auch das
Privatleben des Mannes durchleuchte, da "[n]och … nicht
ausgeschlossen werden [könne], dass es sich bei dem gebürtigen
Bosnier doch um einen ‚Schläfer‘ … [handle]".
Ein dem Artikel beigefügtes Bild zeigt laut Begleittext eine Szene
von den "Razzien gegen Islamisten in Graz, Wien und Linz im Herbst."
Mehrere Leser haben sich an den Presserat gewandt und kritisiert,
dass hier zu Unrecht ein Zusammenhang zu einem möglichen
terroristisch-islamistischen Hintergrund hergestellt werde.
Nach Meinung des Senats verstößt der Artikel gegen das Gebot,
Nachrichten gewissenhaft und korrekt wiederzugeben. Trotz
gegenteiliger Information der Polizei wird den Lesern des Artikels
suggeriert, dass es bei der Amokfahrt einen
terroristisch-islamistischen Hintergrund geben könnte. Der Autor
hätte zumindest deutlicher auf den Standpunkt der Polizei hinweisen
müssen, selbst wenn er zum damaligen Zeitpunkt an dieser Position
gezweifelt hat.
Zudem führt der Abdruck des Fotos von einer Razzia gegen Islamisten
in die Irre. Da die Amokfahrt zum Zeitpunkt der Recherche für den
Bericht laut Polizei eben gerade keinen islamistischen Hintergrund
aufwies, hält es der Senat für ethisch bedenklich, einen Zusammenhang
zwischen den beiden Ereignissen herzustellen.
Der Senat fordert die betroffene Medieninhaberin auf, die vorliegende
Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN VON LESERINNEN UND
LESERN
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen
Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und
Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des
Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall hat der Senat 1 des Presserats aufgrund von
Mitteilungen von Leserinnen und Lesern ein Verfahren durchgeführt
(selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem
Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob ein Artikel den
Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der
"Kronen Zeitung" hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren
teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Bisher hat sich die Medieninhaberin der "Kronen Zeitung" der
Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats nicht unterworfen.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | OPR