• 08.10.2015, 14:43:56
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  • OTS0182 OTW0182

Nachruf auf Gottfried Schatz, 1936-2015

Ein persönlicher Nachruf auf den am 1. Oktober 2015 verstorbenen Gottfried Schatz vom ehem. FWF-Präsidenten Christoph Kratky

Utl.: Ein persönlicher Nachruf auf den am 1. Oktober 2015
verstorbenen Gottfried Schatz vom ehem. FWF-Präsidenten
Christoph Kratky =

Wien (OTS/FWF) - Gottfried ("Jeff") Schatz war ein Hochbegabter:
herausragend als Wissenschaftler, als Wissenschaftspolitiker,
Wissenschaftskommunikator, Essayist, Schriftsteller (in mehreren
Sprachen), und Musiker, um nur einige seiner Aktivitäten zu nennen.

Ich selbst hatte schon viel über ihn gehört als ich ihm zum ersten
Mal persönlich begegnet bin. Es war auf einer Tagung von
Proteinkristallographen in Sizilien, wo er als "reiner" Biochemiker
ein wenig isoliert war unter Leuten, die in erster Linie an Methoden
zur Lösung des kristallographischen Phasenproblems interessiert
waren. Am dritten Tag des Meetings hat er dann einen Vortrag über die
Biochemie des Transports von Proteinen in Mitochondrien gehalten,
nach dem sich viele von uns gefragt haben, ob wir nicht besser zur
Biochemie wechseln sollten. Schatz war ein überragender Vortragender,
der es verstanden hat, praktisch jedes Publikum in seinen Bann zu
ziehen. Überdies (was mir damals noch gar nicht aufgefallen war)
besaß er die Fähigkeit, im Stegreif druckreif zu sprechen.

Gottfried Schatz wurde im Burgenland nahe der ungarischen Grenze
geboren, er ging in Graz ins Akademische Gymnasium und studierte
anschließend Chemie an der Universität Graz, wo er sub auspiciis
praesidentis promovierte. Es verwundert nicht, dass er die
wissenschaftliche und geistige Enge des Österreich der späten 50-er
Jahre stärker gespürt hat als viele seiner "schlichteren"
Zeitgenossen, weshalb er sich schnell von seiner Heimat gelöst hat
und zum Prototypen eines internationalen Wissenschaftlers mutierte:
nach kurzer PostDoc-Tätigkeit im Labor von Hans Tuppy an der
Universität Wien ging er in die USA, wo er schließlich Professor für
Biochemie an der Cornell-University wurde. 1974 übersiedelte er in
die Schweiz um eine Professur am damals neu-geschaffenen Biozentrum
in Basel anzutreten. Seither hatte Schatz seinen Wohnsitz in der
Schweiz.

Sein wissenschaftliches Leben hat Schatz der Erforschung der
Mitochondrien, der "Kraftwerke der Zellen", gewidmet, wo er zu
bahnbrechenden Entdeckungen beigetragen hat: neben der Entdeckung der
mitochondrialen DNA - was den Beweis erbracht hat, dass Mitochondrien
Endosymbionten sind - hat er den Mechanismus des Transports von
Proteinen in die Mitochondrien aufgeklärt. Die große Zeit der
Entschlüsselung des Mechanismus der oxydativen Phosphorylierung - der
Koppelung der ATP-Synthese mit einem pH-Potential über die
Mitochondrien-Membran - hat er hautnah miterlebt, mitgestaltet und
literarisch dokumentiert.

Die Beziehung von Gottfried Schatz zu Österreich war zwiespältig.
Einerseits hat er Österreich und speziell Graz immer (noch) als seine
Heimat bezeichnet und seine Wurzeln nie verleugnet. Als ich vor
mehreren Jahren bei ihm anfragte, ob er allenfalls bereit wäre, ein
Gutachten im Rahmen eines Berufungsverfahrens an der Universität Graz
zu erstellen, hat er spontan zugesagt und war fast entrüstet über die
Frage. Er meinte "aber natürlich, das ist ja meine Alma Mater". In
den letzten Jahren war er ein häufiger und gefragter Festredner bei
diversen Anlässen (zuletzt bei der 650-Jahr-Feier der Universität
Wien), was nicht nur seiner Prominenz sondern auch seinen
überragenden rhetorischen Fähigkeiten geschuldet war. Anderseits hat
er sich als Weltbürger verstanden mit einem beträchtlichen
Skeptizismus gegenüber nationaler Kleinstaaterei. Er war ein großer
Bewunderer des US-amerikanischen und des schweizerischen
Wissenschaftssystems, wo er wissenschaftlich sozialisiert wurde. Das
österreichische Hochschulsystem, dem er Anfang der 60-er Jahre
entflohen ist, ist seiner Meinung nach mit der Zeit zwar besser, aber
noch lange nicht gut geworden, was er nicht zuletzt einem
fundamentalen Desinteresse seitens der österreichischen Bevölkerung
an Wissenschaft zuschrieb.

Obwohl - oder vielleicht gerade weil - er selbst gegen Ende seiner
wissenschaftlichen Laufbahn ein prominenter Wissenschaftsmanager
(Direktor des Biozentrums in Basel, Generalsekretär der EMBO) sowie
Wissenschaftspolitiker (Präsident des Schweizerischen Wissenschafts-
und Technologierates) wurde, hatte er wenig Sympathie für diese
Zunft: Personen, die Wissenschaftlern vorschreiben wollten, worüber
sie forschen sollten oder wer mit wem zu kooperieren hätte, waren für
ihn Zeitdiebe (Chronoclasten), denen man im besten Fall Naivität, im
schlechtesten bösen Willen unterstellen muss. Zentrum des Bösen waren
für ihn die Rahmenprogramme der EU. Für ihn bestand der einzig
mögliche Weg zur Förderung von Wissenschaft darin, begabte
Forscher/innen zu identifizieren und für sie optimale
Forschungsbedingungen zu schaffen. Naturgemäß hatte er wenig
Verständnis für wissenschaftliches (und sonstiges) Mittelmaß.

In vielfacher Hinsicht hat sich seine Weltanschauung mit den
Prinzipien des FWF überschnitten, wenn auch nicht völlig überdeckt.
Den Exzellenzanspruch des FWF hat Schatz klarerweise begrüßt,
allerdings war so etwas wie ein SFB für ihn bereits an der Grenze des
Tolerierbaren: sobald Forschungsförderung Institutionen oder Gruppen
und nicht einzelne Forscherpersönlichkeiten im Blick hatte, war sie
für ihn problematisch. Dies hat ihn auch zu Kritik am Schweizerischen
Nationalfonds veranlasst, und es war ein wesentlicher Grund für ihn,
in die schweizerische Wissenschaftspolitik einzusteigen. Der
Widerstand, der ihm als Präsidenten des Schweizerischen
Wissenschafts- und Technologierates seitens des "akademischen
Establishments" entgegengeschlagen ist, hat ihn immens frustriert und
bestätigt in seiner Ablehnung jeder Art von externer Steuerung von
Wissenschaft.

Gottfried Schatz war unabhängig und unbequem. Wir werden ihn
vermissen.

Christoph Kratky
(FWF-Präsident 2005-2013)

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | FWF

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