Wien (OTS) - Die Steuerreform 2015/16 tritt zum größten Teil 2016 in
Kraft und ist im Vollausbau ab 2017 mit Steuermindereinnahmen von
brutto 5,2 Mrd. Euro oder 1,4% des BIP verbunden. Kern ist eine
Reform des Einkommensteuertarifs, die einen Ausfall von Lohn- und
Einkommensteuereinnahmen von 4,35 Mrd. Euro bewirken wird. Zusätzlich
wird für unselbständig Beschäftigte die Negativsteuer ausgeweitet,
für Pensionistinnen und Pensionisten, Selbständige sowie Bäuerinnen
und Bauern wird eine Negativsteuer neu eingeführt. Auch werden
Verkehrsabsetzbetrag und Kinderfreibetrag erhöht und die
Pendlerförderung für niedrige Einkommen ausgebaut. Unternehmen und
Selbständige profitieren von einigen kleineren
Steuerentlastungsmaßnahmen. Die Gegenfinanzierung erfolgt zu einem
erheblichen Teil durch Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung. Darüber
hinaus tragen die Einschränkung von Ausnahmen in der Einkommen- und
Umsatzsteuer und die Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf
Dividendeneinkünfte und Immobilienveräußerungsgewinne sowie der
Grunderwerbsteuer zur Gegenfinanzierung bei. Ergänzend sollen
Einsparungen von Bund und Ländern sowie eine gewisse
Selbstfinanzierung für eine budgetneutrale Umsetzung der Steuerreform
2015/16 sorgen.
Die Reform des Einkommensteuertarifs sieht die Ausweitung der Zahl
der Tarifzonen von vier auf sieben vor (einschließlich des
Grundfreibetrages, der unverändert bei einem steuerpflichtigen
Jahreseinkommen von 11.000 Euro liegt). Der Eingangssteuersatz wird
von 36,5% (bzw. effektiv 32% unter Einrechnung der begünstigten
Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehaltes) auf 25% gesenkt (bzw.
effektiv 22,1%). Für Einkommen zwischen 11.000 Euro und 90.001 Euro
steigt der Steuersatz in vier Schritten auf 50%. Die
Einkommensgrenze, bei der der bisherige Spitzensteuersatz von 50%
einsetzt, wird von 60.000 Euro auf 90.000 Euro angehoben. Für
Einkommen ab 90.001 Euro erhöht sich der effektive Grenzsteuersatz,
aufgrund der Einschränkung der Sechstelbegünstigung ab einem
steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 150.000 Euro, von 41,96% auf
48,15% bei einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 1 Mio. Euro.
Für Einkommen über 1 Mio. Euro wird befristet für den Zeitraum
2016/2020 ein höherer Spitzensteuersatz von 55% eingeführt.
Die absolute Steuerentlastung beträgt wegen der Erhöhung der
Negativsteuer für steuerpflichtige Einkommen bis 4.000 Euro jährlich
290 Euro und nimmt aufgrund der einkommensabhängigen schrittweisen
Verringerung der Negativsteuer auf 170 Euro für ein steuerpflichtiges
Jahreseinkommen von rund 12.000 Euro ab. Über dieser Grenze steigt
sie bis auf 2.410 Euro für ein Einkommen von 90.000 Euro. Für
Einkommen über 1,048 Mio. Euro übersteigt die zusätzliche
Steuerzahlung aufgrund der Einführung des temporären zweiten
Spitzensteuersatzes von 55% die Entlastung durch die Tarifreform, was
allerdings nur wenige hundert Steuerpflichtige betrifft.
Die relative Entlastung gemessen am steuerpflichtigen Einkommen
ist am höchsten (7,3%) für ein Einkommen von 4.000 Euro
(Jahresbruttoeinkommen von 5.800 Euro, d. h. knapp über der
Geringfügigkeitsgrenze), da hier die Negativsteuer 3,6-mal so hoch
ist wie nach dem derzeit gültigen Tarif. Für höhere Einkommen sinkt
die relative Entlastung bis auf etwa 1,4% eines zu versteuernden
Einkommens von rund 12.000 Euro. Im Bereich zwischen 12.000 Euro und
31.000 Euro steigt sie wieder bis auf 4,7% und sinkt darüber
schrittweise. An der Einkommensgrenze von 90.000 Euro p. a. beträgt
die relative Entlastung 2,7%, an der Spitzeneinkommensgrenze von 1
Mio. Euro nur mehr 0,2%.
Die relative Entlastung gemessen an der zuvor gezahlten Steuer ist
am höchsten für ein steuerpflichtiges Einkommen von rund 12.000 Euro.
Durch die Anhebung des Negativsteuerbetrages verschiebt sich die
Grenze, ab der eine Lohnsteuerschuld anfällt, auf rund 12.620 Euro.
Das entlastet speziell Bezieher und Bezieherinnen von
Monatsbruttoeinkommen zwischen 1.193 Euro und 1.257 Euro.
Der Progressionsgrad (Relation zwischen Grenz- und
Durchschnittssteuersatz) steigt durch die Tarifreform in sämtlichen
Einkommensbereichen, besonders stark aber für niedrige Einkommen.
Daher erhöht sich die Aufkommenselastizität der Lohn- und
Einkommensteuer weiter. Der Progressionsgrad nimmt für das
Durchschnittseinkommen (2015: 24.656 Euro, 2016: 25.088 Euro) unter
Berücksichtigung von Verkehrs- und Arbeitnehmerabsetzbetrag von rund
2,1 auf 2,6 zu. Bei einem Anstieg der Lohnsumme um 1% würde das
Lohnsteueraufkommen entsprechend um 2,6% wachsen.
Eine intensiv diskutierte Frage im Vorfeld der Steuerreform
2015/16 war ihr Beitrag zur Kompensation der kalten Progression. Ist
der Durchschnittssteuersatz des Nominaleinkommens niedriger als der
Durchschnittssteuersatz des entsprechenden Realeinkommens, dann wird
das steuerpflichtige Einkommen auch real entlastet. Für diese Analyse
werden die Nominaleinkommen des Jahres der Steuersenkung mit dem
Verbraucherpreisindex für ein bestimmtes Basisjahr deflationiert
(hier 2009 als Jahr der bislang letzten Steuersenkung und 2015 als
Jahr vor Inkrafttreten der Steuerreform 2015/16). Ebenso wie die
Steuerreform 2009 wird auch die Steuerreform 2015/16 die kalte
Progression in beinahe allen Einkommensstufen bis zu einem
steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 1 Mio. Euro zum Teil
beträchtlich überkompensieren: durch die Senkung der Grenzsteuersätze
in allen Tarifzonen bis zur Einkommensgrenze für den ersten
Spitzensteuersatz von 50% sowie durch deren deutliche Verschiebung
von 60.000 Euro auf 90.000 Euro. Erst für steuerpflichtige
Jahreseinkommen über 1 Mio. Euro wird wegen des höheren
Spitzensteuersatzes der Effekt der kalten Progression nicht
ausgeglichen. Aufgrund der Erhöhung der Aufkommenselastizität durch
die Tarifreform 2016 wird künftig der Effekt der kalten Progression
weiter akzentuiert. Eine Indexierung der Tarifzonen, die künftig das
Problem der kalten Progression vermeiden würde und in einer Reihe von
Ländern praktiziert wird, steht nach wie vor aus.
Die Gegenfinanzierung der Steuersenkung erfolgt zum größeren Teil
über eine Erhöhung der Steuereinnahmen, die 2016 knapp 2,5 Mrd. Euro
beträgt und bis 2019 auf 3,4 Mrd. Euro p. a. zunimmt. Sie macht 2019
insgesamt knapp zwei Drittel des Bruttoentlastungsvolumens aus.
Angestrebte Einsparungen von 1,1 Mrd. Euro (gut ein Fünftel des
Bruttoentlastungsvolumens) ergänzen das Gegenfinanzierungspaket,
wobei etwa ein Drittel von Ländern und Gemeinden erbracht werden
soll. Schließlich wird ein Beitrag zur Gegenfinanzierung aus einer
teilweisen Selbstfinanzierung der Steuersenkung erwartet.
Der Schwerpunkt der Steuerreform 2015/16 liegt in einer
erheblichen Entlastung der (unselbständigen und selbständigen)
Arbeitseinkommen - einschließlich jenes Teils der derzeit etwa 30%
unselbständig beschäftigten Lohnsteuerpflichtigen, die aufgrund eines
geringen Einkommens keine Lohnsteuer, aber
Sozialversicherungsbeiträge entrichten und somit ebenfalls einer
beträchtlichen Abgabenbelastung unterliegen.
Der Fokus auf Betrugsbekämpfung zur Gegenfinanzierung ist
strukturell vor allem aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens sollte die
Verbesserung des Abgabenvollzuges für bestehende Steuern geringere
problematische gesamtwirtschaftliche und strukturelle Wirkungen haben
als die Erhöhung von Steuersätzen für bestehende Steuern oder die
Einführung neuer Steuern. Im Gegenteil könnte zweitens ein
konsequentes Vorgehen gegen Steuerhinterziehung sogar allgemein die
Steuerehrlichkeit verbessern und den Steuerwiderstand verringern.
Gemessen an den Zielen eines zukunftsfähigen Abgabensystems und
den diesbezüglichen Defiziten im österreichischen Abgabensystem
sollten der Steuerreform 2016 allerdings weitere Schritte folgen.
So sind weitere Strukturreformen innerhalb des Abgabensystems
angezeigt. Jenseits von kurzfristigen Gegenfinanzierungsüberlegungen
ist, basierend auf einer Vision für ein "Abgabensystem 2025", in
mehreren, systematisch geplanten und angelegten Schritten eine
grundlegende Umschichtung der Abgabenstruktur anzustreben.
Insbesondere ist eine weitere Verringerung der Abgaben auf die Arbeit
erforderlich, um die Anreize für Arbeitskräftenachfrage und -angebot
zu stärken: in Form einer gezielten Senkung der Dienstnehmerbeiträge
zur Sozialversicherung für niedrige Arbeitseinkommen sowie der
Lohnnebenkosten für die Unternehmen.
Gleichzeitig sind wachstums- und beschäftigungsverträglichere
Steuern schrittweise auszubauen (Erbschafts- und Schenkungssteuer,
Grundsteuer), aber auch Lenkungssteuern (Umweltsteuern, Steuern auf
Alkohol- und Tabakkonsum), die in Österreich in den letzten Jahren an
Bedeutung verloren haben und gemessen an ihrem Beitrag zu den
Gesamtabgaben unter dem EU-Durchschnitt liegen. Auch eine weitere
Einschränkung von Steuerausnahmen, einschließlich der umfangreichen
ökologisch kontraproduktiven Steuerausnahmen, ist angezeigt. Mit den
zusätzlichen Einnahmen können die arbeitsbezogenen Abgaben weiter
gesenkt werden.
Priorität sollten auch weitere Bemühungen haben, um Hindernisse im
Abgabensystem für die Ausdehnung der Frauenerwerbstätigkeit und für
eine ausgeglichenere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit
zwischen Männern und Frauen zu beseitigen.
Im Zusammenhang mit Überlegungen zu einer Reform der
Steuerstruktur sollten in den anstehenden
Finanzausgleichsverhandlungen schließlich auch Optionen geprüft
werden, um die Abgabenautonomie von Ländern und Gemeinden
auszudehnen.
Gleichzeitig sollten Strukturreformen im öffentlichen Sektor
forciert werden, die Effizienzpotentiale heben und die
Ausgabendynamik in großen Ausgabenbereichen eindämmen: Insbesondere
eine grundlegende Föderalismusreform, Reformen im Fördersystem und im
Spitalswesen sowie Maßnahmen zur Erhöhung des tatsächlichen
Pensionsantrittsalters können den für eine Senkung der Abgabenquote
benötigten Budgetspielraum schaffen. Insgesamt steht eine
systematische Diskussion über Aufgaben und den damit einhergehenden
künftigen Ausgabenbedarf (auch in föderaler Perspektive) nach wie vor
aus.
Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht
5/2015 (http://monatsberichte.wifo.ac.at/58169)
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | WFO