• 26.05.2015, 08:46:56
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Mutiertes Gen führt zu Schmerzunempfindlichkeit mit dramatischen Folgen

Wien (OTS) - Eine seltene angeborene Genmutation führt dazu, dass
Betroffene keine Schmerzen empfinden. Was auf den ersten Blick wie
ein Segen klingt, kann schwere Folgen haben. So werden Verletzungen
und Krankheiten oft nicht oder nur sehr spät erkannt. Das betroffene
Gen wurde von einem internationalen Forscherteam der MedUni Wien, der
Universität München sowie der Universität Cambridge identifiziert.

Ausgangspunkt dieser Entdeckung waren zwei nicht miteinander
verwandte Kinder mit einer sehr seltenen, ungewöhnlichen Erkrankung:
Sie empfanden von Geburt an keinerlei Schmerzen. Was sich zunächst
wie ein Segen anhört, kann schwere Folgen haben. "Die betroffenen
Kinder fallen meist zum Zeitpunkt des Durchbruchs der ersten Zähne
dadurch auf, dass sie sich selbst an Zunge, Lippen und Fingern
verletzen, ja sogar Teile davon abbeißen. Auch kommt es sehr leicht
zu Knochenbrüchen, die wegen des fehlenden Schmerzempfindens oft über
längere Zeit unbemerkt bleiben", erläutert Michaela Auer-Grumbach von
der Universitätsklinik für Orthopädie der Medizinischen Universität
Wien, Erstautorin der Studie gemeinsam mit Ya-Chun Chen von der
Universität Cambridge. Die Schmerzfreiheit führt im Laufe des Lebens
zu unbemerkten Verletzungen, Verbrennungen und Knochenbrüchen, die
wegen der fehlenden Schmerzwarnung auch oft spät erkannt werden und
schlecht heilen. Ohne entsprechende medizinische Betreuung können
diese Komplikationen sogar tödlich sein.

Die WissenschaftlerInnen analysierten das gesamte Exom der
PatientInnen, also alle Abschnitte der Erbsubstanz, die Proteine
verschlüsseln. In beiden Fällen konnten sie Mutationen im Gen PRDM12
identifizieren. "Der Nachweis von Mutationen in demselben Gen bei
zwei Personen aus verschiedenen Familien mit sehr ähnlichem
Krankheitsbild war bereits ein starker Hinweis, dass wir hier das
verantwortliche Gen entdeckt hatten", so Jan Senderek vom
Friedrich-Baur-Institut der Universität München. Den endgültigen
Beweis lieferten dann Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Geoffrey Woods
von der Universität Cambridge: sie konnten ebenfalls
PRDM12-Mutationen bei PatientInnen mit angeborener Schmerzlosigkeit
nachweisen. Bei der Untersuchung weiterer Patienten mit angeborenen
Schmerzempfindungsstörungen stießen die Wissenschaftler in
Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem In- und Ausland auch noch auf
weitere Mutationen. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen
Ausgabe der Zeitschrift "Nature Genetics" veröffentlicht worden.

Gestörte Entwicklung des Nervensystems

"Die Entdeckung der Ursache der Erkrankung ermöglicht die gezielte
genetische Diagnostik und Beratung betroffener Patienten und ihrer
Familien", fasst Michaela Auer-Grumbach zusammen. Wenngleich bisher
keine Therapie zur Verfügung steht, kann durch unterstützende
Maßnahmen, Aufklärung und Schulung der Betroffenen und ihrer Familien
die Gefahr von schweren Verletzungen und Komplikationen vermindert
werden. Die Studienautoren hoffen, durch die Publikation die
Aufmerksamkeit von Ärzten und Genetikern für dieses sehr seltene und
noch wenig bekannte Krankheitsbild zu erhöhen.

Um den Mechanismus der Erkrankung zu verstehen, untersuchten die
Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsbiologen Tatsuo
Michiue und Shinya Matsukawa der Universität Tokio die Funktion von
PRDM12 anhand von Froschlarven. Der Verlust von PRDM12 führte dort zu
fehlerhafter Entwicklung von Nervenzellen, die für die
Schmerzwahrnehmung wichtig sind. Das Gen PRDM12 enthält die
Information für einen Faktor, der die Aktivität von anderen Genen und
damit die Entwicklung von Zellen und Geweben festlegt. Das lässt
vermuten, dass es durch den Ausfall von PRDM12 zu einer Fehlsteuerung
bisher noch unbekannter Zielgene kommt, die für Entwicklung des
Nervensystems und eine funktionierende Schmerzwahrnehmung notwendig
sind.

Der Zusammenhang zwischen der angeborenen Unfähigkeit, Schmerz zu
empfinden, und einer gestörten Entwicklung und Funktion des
Nervensystems ist schon in früheren Untersuchungen belegt worden.
Dabei betrafen Mutationen spezielle Natriumkanäle von
Schmerzrezeptoren und Signalwege für Nervenwachstumsfaktoren. Dass
auch Störungen von Faktoren, die - wie PRDM12 - das Erbgut steuern,
zur Schmerzunempfindlichkeit führen können, ist neu und ermöglicht
Einblicke in die Entwicklung des Nervensystems und die Funktionsweise
der Schmerzempfindung. "Weitere Untersuchungen werden zeigen, wie
weit die Erkenntnisse über PRDM12 für die Schmerzforschung und die
Entwicklung neuer Schmerzmedikamente von Bedeutung sind", so Michaela
Auer-Grumbach.

Service: Nature Genetics

Originalliteratur: "Transcriptional regulator PRDM12 controls the
development of pain perception". Nature Genetics, 2015,
doi:10.1038/ng.3308.

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