- 07.01.2015, 18:49:10
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OÖNachrichten-Leitartikel: "Geschlossen gegen religiösen Extremismus", von Peter Grubmüller
Ausgabe vom 8. Jänner 2015
Utl.: Ausgabe vom 8. Jänner 2015 =
Linz (OTS) - Der schreckliche Terroranschlag auf Journalisten der
französischen Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" hat das Potenzial,
fehlgeleitete Bewegungen wie "Pegida" (Patriotische Europäer gegen
die Islamisierung des Abendlandes) weiter anzuheizen. Im ersten
Reflex ist diese Reaktion plausibel, aber sie teilt eine
Gesellschaft, die stattdessen geschlossen begreifen muss, dass es
jetzt um wichtigere Fragen, als um zu viele Frauen mit Kopftüchern
geht. Bei der Wahnsinnstat von Paris haben Fanatiker nicht nur auf
Menschen gefeuert - zwölf davon sind tot -, sondern auch auf eines
der wichtigsten Menschenrechte überhaupt: das Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung.
Der literarische Provokateur Michel Houellebecq hatte die Fronten mit
dem gestrigen Erscheinen seines Romans "Unterwerfung" verschärft. In
seinem Buch gehört Frankreichs Präsident im Jahr 2022 der "Partei
Muslimischer Brüderlichkeit" an. Zum Skandal hat es der Verlag
bereits vor Wochen ausgerufen, indem er den Stoff nach üblichen
Mechanismen der Vermarktung zur Geheimsache erklärt hatte. Natürlich
gelangte die Inhaltsangabe ans Licht - und die ebenfalls gestern
veröffentlichte Ausgabe von "Charlie Hebdo" trägt Houellebecqs
gezeichnetes Gesicht auf dem Cover. Der Plan scheint auf
katastrophale Weise aufgegangen zu sein.
Marketingstrategien dieser Art sind keine Geschmacksfrage, sie sind
so skrupellos, wie ihre vorgetragenen Motive zur Förderung der
Aufklärung dumm sind. Dabei soll hier nicht völlig unangebrachter
Respekt für religiös Wahnsinnige eingefordert werden, die hinlänglich
bewiesen haben, dass ihnen jede Achtung gegenüber Andersdenkenden
fehlt. Hätten mutige Aufklärer einst Rücksicht auf religiöse Gefühle
genommen, würden bei uns noch immer Scheiterhaufen brennen. Es geht
vielmehr um eine kluge Strategie zur systematischen
Desensibilisierung. Es bedarf einer von europäischen Politikern
einheitlich getragenen Überzeugung, dass unter anderem
Religionskritik und Glaubenssatire maßgebliche Bestandteile von
Demokratien sind. Nur mit europäischer Geschlossenheit ist ein
Bewusstsein zu erreichen, dass es abscheulich und sinnlos ist, wegen
einer Zeichnung oder wegen eines Textes in die Luft zu gehen - oder
schlimmer: andere in die Luft zu sprengen. Wenn sich Regierungschefs
wie bisher für Mohammed-Karikaturen entschuldigen, dann verwechseln
sie Opfer und Täter.
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