- 02.12.2014, 08:14:35
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Semmering Basistunnel: Justizministerium prüft mögliches Strafverfahren gegen Gutachter
Während das Verwaltungsverfahren zur Bewilligung des Milliardenprojekts in die nächste Runde geht, wird auch eine strafrechtliche Dimension des Projekts geprüft.
Utl.: Während das Verwaltungsverfahren zur Bewilligung des
Milliardenprojekts in die nächste Runde geht, wird auch eine
strafrechtliche Dimension des Projekts geprüft. =
Wien (OTS) - Am 19. und 20.1.2015 geht das bereits seit 2010 anhängige
Verfahren um die Bewilligung des Eisenbahnprojekts "Semmering
Basistunnel neu" in die nächste Runde. An diesen beiden Tagen führt
das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung über die von
Tunnelgegnern eingebrachten Beschwerden gegen den
Bewilligungsbescheid durch. Im Juli 2014 hatte die damalige
Verkehrsministerin Doris Bures eine neue Bewilligung erlassen,
nachdem der erste Bescheid vom Verwaltungsgerichthof, ua wegen
Beiziehung eines untauglichen Sachverständigen, aufgehoben wurde.
Das seit Jahrzehnten umstrittene Eisenbahnprojekt hat inzwischen auch
eine strafrechtliche Dimension. Es steht der Verdacht im Raum, dass
die Bewilligung des Projekts auf Gutachten beruht, die vorsätzlich
unrichtige Angaben enthalten. Dr. Andreas Manak, Rechtsanwalt in
Wien, der einige Tunnelgegner vertritt, hat bereits im August
Strafanzeigen gegen den Gutachter für Verkehrswesen, gegen den Leiter
der Obersten Eisenbahnbehörde und gegen Frau Bures eingebracht. Die
Anzeige gegen den Gutachter wurde von der Staatsanwaltschaft Wien
postwendend zurückgelegt, aber mit einer fadenscheinigen Begründung,
wie Manak meint. Er hat den Fall daher direkt an den Justizminister
herangetragen, der die Entscheidung derzeit nochmal überprüfen lässt.
Schwere Vorwürfe gegen Gutachter
Der Gutachter ist kein gerichtlich beeideter Sachverständiger und
wurde nicht vom Verkehrsministerium, sondern indirekt von den ÖBB
bestellt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind schwerwiegend:
Im März 2014 bestätigte der Gutachter, dass sich die
verkehrspolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des
Projekts seit seinem Erstgutachten aus 2010 (!) nicht verändert
hätten. Damals stützte er sich auf eine Studie der
Wirtschaftsuniversität Wien aus 2008 (!), die noch von Projektkosten
von rund Euro 2,1 Mrd ausging. Die seither eingetretene
Kostensteigerung um 50 % und die in der Studie gar nicht
berücksichtigten Finanzierungskosten von weiteren 2-3 Mrd. werden vom
Gutachter verschwiegen. Auch die von den ÖBB vorgelegten
Verkehrsprognosen werden vom Gutachter als unbedenklich eingestuft,
obwohl diese schwer Mängel aufweisen. Es wird zB unter einer Reihe
von Rahmenbedingungen bis 2055 ein Zuwachs für den Güterverkehr am
Semmering um 156 % vorhergesagt, obwohl der Güterverkehr - nicht nur
am Semmering - seit 15 Jahren stagniert.
Semmering Basistunnel ist "wohlstandsmindernd"
Der renommierte deutsche Verkehrsökonom Dr. Martin Vieregg stellt dem
Semmering Basistunnel aus volkswirtschaftlicher Sicht ein
vernichtendes Zeugnis aus: Die Verkehrsprognosen seien falsch und die
von der WU Wien vorgenommene Berechnung des gesamtwirtschaftlichen
Nutzes beruhe auf falschen bzw überholten Annahmen. Vieregg hält
fest, dass bereits die derzeit veranschlagten Kosten des Projekts
mindestens Doppelt so hoch sind wie der Nutzen. Das Projekt wäre
daher nicht - wie von Bures und ÖBB-Generaldirektor Kern oft
behauptet - Teil eines Konjunkturpakets, sondern schlicht und einfach
"wohlstandsmindernd" für alle Österreicher.
Die Vorwürfe gegen den Semmering-Gutachter werden auch durch eine
Untersuchung des Verkehrsexperten Univ.-Prof. Dr. Knoflacher und ein
WIFO-Weißbuch aus 2007 erhärtet. In letzterem wurde nachgewiesen,
dass Investitionen in Verkehrsinfrastruktur nur dann sinnvoll sind,
wenn sie bestehende Engpässe beseitigen oder sich
betriebswirtschaftlich rechnen. In konjunktur- und
beschäftigungspolitischer Hinsicht sind sie fast völlig wirkungslos.
Nach Meinung des WIFO sind staatliche Investitionen in Zeiten einer
schwachen Konjunktur zwar grundsätzlich zu befürworten, allerdings
sollten sie eher in Ausbildung und Forschung investiert werden, als
in Bauprojekte.
GD Kern widerspricht eigenem Gutachter
Schließlich wurde der strittige Gutachter vom Generaldirektor der
ÖBB, Christian Kern persönlich, widerlegt. In einem Interview vom 20.
6. 2014 gab Kern den Nutzenfaktor des Semmering Basistunnels für die
Bauphase mit 0,9 an. Das ist zwar laut Vieregg immer noch viel zu
optimistisch, aber doch weit von dem Faktor 5 entfernt, den der
Gutachter (unter Wahrheitspflicht!) zu Protokoll gegeben hat.
Rechtsanwalt Manak will jetzt vom Justizminister wissen, ob sich ein
Gutachter in einem 6-Milliarden-Projekt derart gravierend "irren"
darf, oder ob er zumindest den gleichen Wissensstand haben müsste,
wie sein Auftraggeber, die ÖBB.
Bundesverwaltungsgericht, mündiche Verhandlung über Semmering Basistunnel Am 19. und 20.1.2015 geht das bereits seit 2010 anhängige Verfahren um die Bewilligung des Eisenbahnprojekts „Semmering Basistunnel neu“ in die nächste Runde. An diesen beiden Tagen führt das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung über die von Tunnelgegnern eingebrachten Beschwerden gegen den Bewilligungsbescheid durch. Datum: 19.1.2015, um 08:00 Uhr Ort: Bundesverwaltungsgericht Erdbergstraße 192-196, 1030 Wien
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