- 13.11.2014, 12:30:02
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TTIP-Diskussion mit Blick auf die Daseinsvorsorge: Kritische Stimmen zu Freihandelsabkommen auch in den USA und Kanada
Wien (OTS) - VertreterInnen der US-amerikanischen, kanadischen und
europäischen Zivilgesellschaft diskutierten über gemeinsame
Perspektiven für BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen zum
Freihandelsabkommen (TTIP).
Auf Einladung des Verbandes der öffentlichen Wirtschaft und
Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG), der Arbeiterkammer Wien, dem
Österreichischen Städtebund sowie der Gewerkschaft der
Gemeindebediensteten - Kunst, Medien, Sport, freie Berufe (GdG-KMfSB)
diskutierten am 13. November im Wiener Rathaus internationale
ExpertInnen über Auswirkungen transatlantischer Handelsabkommen.
Gemeinsamer Tenor: Daseinsvorsorge, Gemeinwohl und
ArbeiternehmerInnenrechte müssen sichergestellt sein.
Handelsabkommen für Menschen, nicht für Lobbys
Für die Präsidentin des VÖWG, Renate Brauner, birgt TTIP in der
derzeit diskutierten Variante mehr Risiken als Chancen und gefährdet
die kommunale Daseinsvorsorge. Wichtige Aufgaben, die jetzt Städte
und Gemeinden als lokaler Partner der Bevölkerung wahrnehmen, wie
z.B. die Wasserversorgung, könnten durch die Hintertür privatisiert
werden. "Deshalb müssen wir TTIP verändern. Wir brauchen Abkommen für
die Menschen, nicht für die Lobbys", so Brauner in ihrer
Eröffnungsrede. Sie fordert entschieden, dass die Betroffenen und
ihre Vertretungen in den Ländern, Städten und Gemeinden transparent
mit einbezogen werden müssen. "Es muss klar sein: Wir wollen keine
weiteren Privatisierungen im öffentlichen Bereich." Denn die sichere
Grundversorgung mit öffentlichen Gütern und Leistungen ist ein
wichtiger Beitrag zur hohen Qualität des Wirtschaftsstandortes, zur
Exportstärke Österreichs und damit zum Handel.
Transatlantischer Einsatz für ArbeiternehmerInnenrechte
Im Laufe der zweistündigen Diskussionsrunde wurde deutlich, dass die
Kritikpunkte auf beiden Kontinenten große Ähnlichkeiten aufweisen: So
betonte die US-amerikanische Gewerkschafterin Celeste Drake (American
Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations) die
ernüchternden Erfahrungen mit dem seit den 1990ern geltenden
Handelsabkommen zwischen Mexiko, USA und Kanada (MAFTA): Anstelle des
angekündigten Jobwunders seien vor allem negative Effekte für
ArbeitnehmerInnen zu beobachten - stagnierende Löhne, zunehmende
Ungleichgewichte, weniger Einfluss der Gewerkschaften inbegriffen.
Vor diesem Hintergrund müssten auch die im Vorfeld geschürten
Erwartungen an TTIP sehr skeptisch beurteilt werden. "Um andere
Ergebnisse zu erreichen, brauchen wir andere Regelungen", so Drake.
Auch AK-Präsident Rudi Kaske hat Bedenken in Hinblick auf die
derzeitigen TTIP-Verhandlungen. So könnte das Freihandelsabkommen
Arbeitsplätze kosten und Lohnsenkungen nach sich ziehen.
Internationale Mindestarbeitsrechte müssen nach derzeitigem Stand
nicht eingehalten werden. Die geplante Angleichung von
Regulierungsunterschieden könnte auch eine Absenkung von europäischen
Verbraucher-, Umwelt- und ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen
bedeuten. Durch das Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS)
könnten Österreich hohe Entschädigungszahlungen drohen, wenn neue
Regulierungen etwa im Sozial-, Umwelt- oder Gesundheitsbereich die
erwarteten Gewinne der Investoren schmälern würden.
Für die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten - Kunst, Medien, Sport,
freie Berufe schlägt Thomas Kattnig, Internationaler Sekretär und
Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, in
dieselbe Kerbe: "Durch Investitionsschutzklauseln und
Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren würden Privatisierungen
praktisch unumkehrbar und Rekommunalisierungen verhindert werden.
Dieser Mechanismus muss unbedingt aus dem Abkommen gestrichen
werden." In der öffentlichen Debatte gibt es bereits ein
Problembewusstsein gegen ISDS. Doch der Fokus muss auf die generelle
Absicherung der Daseinsvorsorge gelenkt werden, ein für die
Gewerkschaft wesentlicher Punkt: "Die Leistungen der Daseinsvorsorge
müssen effektiv aus dem Abkommen ausgenommen werden", so Kattnig.
Massive Kritik am Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren
Ergänzend dazu schilderte Hadrian Mertins-Kirkwood vom Canadian
Centre for Policy Alternatives die kanadischen Erfahrungen mit
bestehenden Abkommen. Der Schock der globalen Finanzkrise 2008 sei
scheinbar in Vergessenheit geraten. Die Begeisterung zahlreicher
Regierungen für tiefgreifende Handels- und Investitionsabkommen habe
ein Ausmaß erreicht wie zuletzt Mitte der 1990er. Beispielsweise sei
nicht zuletzt aufgrund einer Reihe fragwürdiger Klagen im Rahmen von
Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren bereits eine vorauseilende
Einschränkung des politischen Entscheidungsspielraumes zu spüren. Man
denke nur an die kostspielige Verurteilung Kanadas aufgrund eines
zeitlich befristeten Fracking Moratoriums der Provinz Quebec. Kritik
an den Investorenschutz-Schiedsgerichten äußert auch der
Österreichische Städtebund: Die Investorenschutzregelungen müssen
überarbeitet werden. Andernfalls müssten Kommunen mit hohen
Schadenersatzansprüchen von Investoren rechnen. "Die Grundsätze der
Rechtsstaatlichkeit müssen auch in Streitfällen gelten", sagt Thomas
Weninger, Generalsekretär des Städtebundes.
Vorrang kommunaler Daseinsvorsorge
Eine Einschätzung, die der deutsche Handelsexperte Thomas Fritz von
der NGO PowerShift mit Hinweis auf seine kürzlich veröffentliche
Studie "TTIP vor Ort" auch für die kommunale Ebene
weiterentwickelte: Da keine grundsätzliche Ausnahme für öffentliche
Daseinsvorsorgeleistungen im Rahmen der TTIP-Verhandlungen bestünde,
sei mit weiterem Druck zu Liberalisierung und Privatisierung zu
rechnen. Die kolportierten Schutzklauseln seien löchrig und nicht
effektiv. Zudem bleibe auch der Einsatz sogenannter
Stillstandsvereinbarungen eine reale Gefahr. Mittels derartiger
Vereinbarungen würde die Umkehrung vergangener Liberalisierungen
angreifbar und der Trend zu Rekommunalisierung in Frage gestellt.
Für die Geschäftsführerin des VÖWG, Heidrun Maier-de Kruijff, können
sich Daseinsvorsorge und Freihandel - wie schon bisher - sinnvoll
ergänzen. Sie erinnert, dass infrastrukturelle Voraussetzungen wie in
der Forschung, im Bildungssektor, im Sozialbereich, bei den digitalen
Netzen, am Energiesektor oder im Verkehrswesen eine Grundlage für die
österreichischen Exporte bilden. Insofern stehen lokale und regionale
Daseinsvorsorge am Beginn der weltweiten Wertschöpfungskette.
Kommunale Daseinsvorsorge - so Thomas Weninger vom Städtebund - soll
vom Freihandelsabkommen mit den USA und allen weiteren
Handelsabkommen explizit ausgeschlossen werden. Dies bezieht sich
insbesondere auf die Bereiche wie die öffentliche Wasserver- und
Abwasserentsorgung, Abfall und öffentlicher Nahverkehr, soziale
Dienstleistungen und die Leistungen öffentlicher Daseinsvorsorge im
Kulturbereich. Der Österreichische Städtebund fordert daher, dass
"die Verhandlungen offengelegt werden und in die Berichte über den
Verhandlungsprozess eingesehen werden darf".
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