Schweizer Globalisierungskritiker zu Gast beim 3. vida-Gewerkschaftstag: Zivilgesellschaft ist weltweite Widerstandsfront gegen Verteilungsungerechtigkeit
Utl.: Schweizer Globalisierungskritiker zu Gast beim 3.
vida-Gewerkschaftstag: Zivilgesellschaft ist weltweite
Widerstandsfront gegen Verteilungsungerechtigkeit =
Wien (OTS/ÖGB) - Im Rahmen des 3. Gewerkschaftstages der Verkehrs-
und Dienstleistungsgewerkschaft vida hielt der international bekannte
Schweizer Globalisierungskritiker Jean Ziegler ein Impulsreferat zum
Thema "Kampf gegen die absurde Weltordnung -
Verteilungsgerechtigkeit". "Die internationale Solidarität ist die
Essenz jeder Gewerkschaftsbewegung", hielt Ziegler Eingangs fest. Das
Freihandelsabkommen TTIP bedeute hingegen nicht nur die
Totalliberalisierung des Wassers sowie des Dienstleistungs- und
Verkehrssektors, es sei auch ein Angriff auf die Gewerkschaften und
ihre Mitsprache. Mit der Schiedsgerichtsklausel in TTIP könnten
multinationale Konzerne gegen ihren Interessen zuwiderlaufende
Beschlüsse von demokratisch gewählten Regierungen klagen, kritisierte
Ziegler, was einer totalen Entmachtung von Nationalstaaten
gleichkomme.++++
Jean Ziegler, Soziologe, Politiker und Autor, gehört zu den
international profiliertesten und charismatischsten Kritikern
weltweiter Profitgier. Seit Jahrzehnten kämpft er gegen Hunger und
Ungerechtigkeit in dieser Welt. In seinem Referat blickte Ziegler
zuerst auf die historische Entwicklung von internationaler
Solidarität zurück. Diese habe sich vor rund 150 Jahren erstmals
durch die Streiks englischer TextilarbeiterInnen gegen
Baumwollimporte aus den Südstaaten der USA manifestiert. Die
ArbeiterInnen hätten damals großes Elend in Kauf genommen. Ihre
"strahlende Menschlichkeit" und Solidarität habe aber die
ArbeiterInnen über die Sklaverei siegen lassen, so Ziegler.
Das Kapital wüte aber noch heute. Die 500 größten transkontinentalen
Konzerne kontrollierten 52,8 Prozent des Wertes des
Weltbruttosozialprodukts, das im letzten Jahr 85.000 Milliarden
Dollar überschritten habe, spannte Ziegler den Bogen ins hier und
jetzt. Diese Konzerne hätten jetzt mehr Macht, wie sie ein König, ein
Kaiser oder ein Papst nie besessen haben.
Während die Profitmaximierung voranschreite, wüchsen im Süden die
durch Hunger entstandenen Leichenberge weiter an: "Diese
kannibalische Weltordnung ist ein System aus struktureller Gewalt.
Das muss gebrochen werden", sagte der Globalisierungskritiker. Denn
alle fünf Sekunden verhungere ein Kind, 57.000 Menschen würden pro
Tag an Hunger sterben. Der Hunger, hervorgerufen durch
Verteilungsungerechtigkeit und den verwehrten Zugang zu Nahrung, sei
bei weitem die bedeutendste Todesursache auf diesem Planeten, sprach
Ziegler vor diesem Hintergrund von "Massenmord". Das
UNO-Menschenrecht auf Nahrung sei zudem jenes Recht, dass weltweit am
massivsten verletzt werde.
Die Ursachen für die Verteilungsungerechtigkeit und den Hunger sieht
Ziegler zum einen in den großen Auslandsverschuldungen der Länder der
südlichen Erdkugel begründet. Das hindere etwa Afrika an
Investitionen in die Landwirtschaft. Ein weiterer Grund sei der
"permanente Landraub", dass immer mehr Agrarland von Konzernen,
Hedgefonds und Großbanken aus Gründen der Spekulation übernommen
werde.
Als weitere Hauptkausalitäten für Zerstörung und Unterernährung
nannte Ziegler die Börsenspekulationen mit Energie und
Agrarrohstoffen. Dies bringe astronomische Gewinne. Von 2008 bis 2013
sei der Weltmarktpreis von Mais um 38,2 Prozent gestiegen, der Preis
für eine Tonne Getreide habe sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Es
sei zwar aus Umweltschutzgründen vernünftig, fossile Energien durch
vegetale ersetzen zu wollen, es sei jedoch angesichts des Hungers in
der Welt ein "Verbrechen an der Menschlichkeit, Nahrung zu
Agrartreibstoff zu verbrennen", wandte der Globalisierungskritiker
ein.
Der Feind im Kampf gegen Hunger und Verteilungsungerechtigkeit sei
erkannt, aber wie könne man ihn bekämpfen? Zieglers Antwort auf diese
Frage ist eine eindeutig optimistische, denn in der Demokratie gebe
es Hoffnung, Solidarität und keine Ohnmacht. Mit entsprechenden
Mehrheiten und Gesetzen verfügten Demokratien über alle Waffen, um
die Herrschaft der Konzerne, um die kannibalische Weltordnung zu
brechen. Egal, ob es dabei um Gesetze gegen Lohn- und Sozialdumping
oder um ein Verbot von Spekulationen mit Nahrungsmitteln gehe.
Auf demokratischem Wege sei auch eine Totalentschuldung der südlichen
Länder durchzusetzen. Für Ziegler scheint dies machbar zu sein. Denn
die Hoffnung dafür bringe die "planetarische Zivilgesellschaft".
Diese Zivilgesellschaft sei der Motor, diese bilde durch das
Weltsozialforum oder Nichtregierungsorganisationen wie attac die
weltweite Widerstandsfront gegen Verteilungsungerechtigkeit. "Diesen
Bewegungen gehört die Zukunft und sie werden gewinnen", bekräftigte
Ziegler.
Von Dienstag, 4. November bis Donnerstag, 6. November 2014 findet der
3. Gewerkschaftstag der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft
vida im Wiener Austria Center (ACV) statt. Mehr zum Programm gibt es
im Internet unter http://gewerkschaftstag.vida.at
Der gesamte Gewerkschaftstag wird unter dieser Adresse via Livestream
übertragen.
Fotos von der Veranstaltung werden auf Anfrage zugesendet.
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