"Die Crowd ist zum Teil unberechenbar und nicht immer weise" - Probleme der Zukunft erfordern mehr Kooperation - Podiumsdiskussion beleuchtet Chancen und Risiken

Utl.: "Die Crowd ist zum Teil unberechenbar und nicht immer weise" -
Probleme der Zukunft erfordern mehr Kooperation -
Podiumsdiskussion beleuchtet Chancen und Risiken =
Wien (OTS) - Crowdsourcing, also bestimmte Aufgaben an die Masse der
Internetnutzer auszulagern, kann die Art und Weise, wie kreative
Prozesse organisiert werden, revolutionieren. Dabei gibt es aber noch
einige Hürden zu überwinden, erklärten Expertinnen und Experten
gestern, Donnerstagabend, bei einer Podiumsdiskussion der
APA-E-Business-Community in Wien.
"Um Ideenfindungen und Problemlösungen aus dem Internet effektiv
nutzen zu können, bedarf es einer gezielten Strategie und
sorgfältiger Planung", sagte Karl-Heinz Leitner vom Austrian
Institute of Technology (AIT). Nur so könnten die Motivation der
potenziellen Teilnehmer erhöht und mögliche Risiken eliminiert
werden, denn "die Masse ist zum Teil unberechenbar und nicht immer
weise". Die Eigentumsrechte seien teilweise unklar und der Aufwand,
die eingebrachten Ideen auch wirklich umzusetzen, werde oft
unterschätzt. Außerdem gebe es die Angst, Know-how preiszugeben und
die F&E-Abteilung zu verärgern.
Große Chancen biete Crowdsourcing im Business-to-Consumer-Bereich,
aber auch im Business-to-Business-Bereich, wenn es etwa um Forschung
und Entwicklung gehe. Generell gelte, dass innovationsaffine
Unternehmen profitieren können, "die anderen werden eher scheitern".
Laut Leitner gehen fünf bis zehn Prozent der Projekte schief. Dass
die Cloud die großen gesellschaftlichen Probleme lösen kann, sieht
der Experte eher skeptisch. "Die Cloud macht die Welt aktuell weder
friedlicher, noch ökologischer oder gesünder", so Leitner.
Crowdsprache in Firmensprache übersetzen
Auch Paul Lehner vom Mobilfunk-Marktführer A1 verwies auf die
Bedeutung einer professionellen Herangehensweise und Planung. "Man
muss sich rechtzeitig überlegen, ab welchem Zeitpunkt die Kunden
eingebunden werden sollen, welche Methodik angewendet und wie das
Feedback verarbeitet wird", so der Manager. Dazu brauche es
Spezialisten, die "die Crowdsprache in Firmensprache übersetzen". Zu
etwaigen Widerständen im Unternehmen meinte Lehner, dass ab einem
gewissen Zeitpunkt auch intern die Vorteile, eine neue Quelle
anzapfen zu können, gesehen werden.
Als Unternehmen vom Trend zum Crowdsourcing, Crowdfunding und zur
Crowdscience zu profitieren, sei gar nicht so einfach, ergänzte Alf
Netek von Kapsch: "Wenn wir uns nämlich ansehen, wo derartige
Mechanismen wirklich gut funktionieren, dann erkennen wir schnell,
dass sich die Crowd überall dort zusammenfindet, wo es nicht um
Profite geht." Unternehmen würden trotzdem von der Crowd profitieren,
wenn die Menschen einen mittelbaren oder unmittelbaren Nutzen für
sich erkennen. Gut gemacht könnte eine Crowd auch zur Kundenbindung,
als Vertriebskanal und zur Markenpflege genutzt werden.
Aufbau einer Community ist durchaus aufwändig
Wie schwierig es ist, eine eigene Crowd aufzubauen, strich Gert
Breitfuß vom Kompetenzzentrum Evolaris hervor. Das bringe einen
Aufwand mit sich, der insbesondere für Klein- und Mittelunternehmen
(KMU) nicht so leicht zu bewältigen sei. "Das kann man nicht nebenher
machen. Eine Crowd bindet Ressourcen und muss gemanaged werden", so
Breitfuß. Es gehe dabei ums Betreuen, Rekrutieren der richtigen
Personen, Incentivieren - schließlich will jeder anders belohnt
werden -, Kommunizieren, Promoten etc. Alle diese Tätigkeiten seien
wichtig und notwendig, um wirklich einen Nutzen aus der Crowd ziehen
zu können.
Der Großteil der Firmen habe das Potenzial aber noch nicht
erkannt, gab sich Daniel Scherling vom Softwarespezialisten Navax
überzeugt. "Aktivitäten im Web beschränken sich oft darauf, die
aktuelle Werbekampagne zu promoten. Echte Kommunikation, speziell
auch Antworten auf Kritik, findet selten statt", so Scherling. Der
Weg zu einem tatsächlichen Verwerten der generierten Informationen
bzw. zur Einbeziehung der externen Experten sei noch ein langer.
"Viele Firmen wissen ja gar nicht, wo ihre Crowd ist und ob das
überhaupt die sind, die sie erreichen wollen. Und wenn sie mit der
Crowd kommunizieren, dann oft ohne Strategie", erklärte der Manager.
Eigener Co-Creation-Manager als Koordinator
Man habe für die Einbindung von Kunden in Entwicklungsprozesse
sogar einen eigenen Job geschaffen, betonte Cornelia
Schöberl-Floimayr von der Erste Bank: Ein Co-Creation-Manager
koordiniere alle Aktivitäten rund ums Thema. Über die
Online-Plattform "s Lab" würden Kunden eingeladen, ihre Ideen
einzubringen, Feedback zu geben und direkt mit Projektleitern zu
diskutieren. Zusätzlich könnten eigene Ideen und
Verbesserungsvorschläge gepostet, kommentiert und geliked werden.
"Die Probleme, die wir künftig lösen müssen, werden mehr
Kooperation erfordern", wagte Schahram Dustdar von der Technischen
Universität (TU) Wien einen Ausblick. Allerdings gelte es,
Technologien zu entwickeln, die es ermöglichen, dass eine große
Anzahl an Menschen zusammenarbeiten kann. "Vielleicht gehen daraus
auch Technologien hervor, die die Kooperation der Unternehmen
untereinander verbessern", so Dustdar. Derzeit seien Crowd-Projekte
kaum in die Unternehmensprozesse eingebunden und die
eigentumsrechtliche Situation häufig unklar. Außerdem müssten die
Belohnungsstrukturen automatisiert und dynamischer werden, sieht er
noch Nachholbedarf.
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