Wien (OTS) - Wir wenden uns in diesem offenen Brief an die
Zivilgesellschaft, um auf das kompetenzüberschreitende Verhalten des
österreichischen Rechtsstaats bzw. der Polizei gegenüber
zivilgesellschaftlichem Protest aufmerksam zu machen. Zusätzlich
möchten wir das fragwürdige rechtliche Vorgehen gegen Teilnehmende,
insbesondere von antifaschistischen Protesten, aufs Schärfste
kritisieren.
Unter repressiven Strategien oder Repression versteht eins die
(gewaltsame oder polizeiliche) Unterdrückung von Kritik, Widerstand
oder politischen Bewegungen. Diese Strategien sind vielfältig.
In Österreich wird dazu in letzter Zeit häufig "eingeschlafenes
Recht", wie beispielsweise der Paragraph 274 (Landfriedensbruch) oder
der Paragraph 285 (Störung oder Sprengung einer Versammlung), wieder
zum Leben erweckt. Diese und andere Paragraphen, die lange nicht in
Verwendung waren, werden nun hervorgeholt, um Menschen ohne
tatsächliche Beweislage in U-Haft zu nehmen und zukünftige
Demonstrationsteilnehmer_innen von Kundgebungen und Protesten bereits
im Vorhinein abzuschrecken.
Andere Methoden sind willkürliche Identitätsfeststellungen oder
Inhaftierungen und diese werden als Mittel der Exekutive angewandt,
um die Bevölkerung vom Wahrnehmen ihres Demonstrationsrechts
"abzuschrecken".
Um einen exemplarischen Fall hervorzuheben: Der Student Josef S.
sitzt nun seit fast einem halben Jahr in Wien in Untersuchungshaft.
Er kam aus Deutschland, um gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu
gehen. Josef S. sagte beim Prozessstart Anfang Juni, dass "er nun
einmal aus einer Gegend komme [Jena, Deutschland], wo es zum guten
Ton gehört, sich an Demonstrationen gegen die zu beteiligen, die
Andersdenkende diskriminieren".
(http://derstandard.at/2000003009067/Demo-gegen-Akademikerball-SPOe-K
ritik-an-Justiz-und-Polizei) Er wurde im Zuge der Gegendemonstration
gegen den "Akademikerball" (ehemaliger "WKR-Ball") verhaftet und
wegen Landfriedensbruch, versuchter absichtlicher schwerer
Körperverletzung (Quelle
http://soli2401.blogsport.eu/2014/06/06/josef-bleibt-im-knast/) und
Rädelsführer_innenschaft angeklagt. Die Anklage gegen ihn beruht auf
dürftigen Indizien und zum Teil bereits widerlegten Anschuldigungen.
Der einzige Belastungszeuge verstrickte sich am ersten
Verhandlungstag in Widersprüche. Dennoch wurde die Untersuchungshaft
für Josef verlängert und die Anklage erweitert. Währenddessen erhielt
Josef S. den Jenaer Preis für Zivilcourage.
Wie Josef beteiligten sich viele Studierende aus ganz Österreich an
den erwähnten Demonstrationen und Kundgebungen. Das Ausdrücken des
Protests gegen herrschende Zustände durch das Mittel der
Demonstration ist essentiell für Student_innenbewegungen wie in den
68er Jahren und bei Unibrennt 2009. Daher unterstützt die ÖH
Bundesvertretung in ihrer Funktion als Studierendenvertretung
besonders das Engagement für progressive Politik und das Engagement
gegen rechtsextreme und faschistische Tendenzen. Wir verurteilen das
repressive Vorgehen gegen diese Proteste aufs Schärfste. Wenn
Menschen Angst haben müssen, bei der bloßen Anwesenheit auf einer
Demonstration verhaftet zu werden, können wir nicht mehr von
Rechtsstaat und Demokratie sprechen.
Repression findet aber nicht nur im antifaschistischen Kontext statt,
sondern auch bei engagierten Tierschützer_innen, Flüchtlingen und
anderen politisch aktiven Gruppen. Es handelt sich hierbei nicht um
Einzelfälle, sondern um eine Strategie um Protestierende
einzuschüchtern und handlungsunfähig zu machen. Im Fluchthilfeprozess
gegen acht teilweise im Refugee-Protest aktive Flüchtlinge ist die
Beweislage ähnlich dürftig wie beim Prozess gegen Josef S. Doch es
reicht allemal, um die Flüchtlinge als "Schlepperring" zu diffamieren
und den unbequemen Refugee-Protest zu zerschlagen. Teil dieser
Strategie ist es vor allem, Refugees ins illegale und kriminelle Eck
zu stellen, um rassistische Vorurteile der Gesellschaft zu
reproduzieren und zu verfestigen.
Das Anliegen der Zivilgesellschaft, laut gegen Rechtsextremismus,
Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homofeindlichkeit
aufzutreten, wird von Teilen des österreichischen Rechtsstaats mit
Füßen getreten. Dies zeigt sich neben den momentan laufenden
Prozessen auch durch die unverhältnismäßigen Ausweitungen der
Platzverbote und die Einschränkungen der Pressefreiheit bei den
diesjährigen Demonstrationen gegen den "Akademikerball" in der Wiener
Hofburg - immerhin das größte europäische Vernetzungstreffen der
rechtsextremen Szene.
Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht ist eine wichtige Säule
einer funktionierenden Demokratie. Doch anstatt dieses Recht zu
wahren, werden engagierte Einzelpersonen und auch ganze Gruppen in
Österreich pauschal kriminalisiert.
Anstatt für einen antifaschistischen Grundkonsens in der Gesellschaft
zu kämpfen und auch politisch offensiv gegen Rechtsextremismus
aufzutreten, werden Grundrechte immer weiter beschnitten.
Antifaschismus, der gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund von
Österreichs faschistischer und nationalsozialistischer Vergangenheit
selbstverständlich sein sollte, wird dadurch mit Füßen getreten und
kriminalisiert. Auch im internationalen Kontext wird Österreich immer
wieder aufgrund der rechtsextremen Tendenzen kritisiert, während
österreichische Medien unkritisch Pressemeldungen der Polizei
übernehmen und dazu beitragen, dass diese unverhältnismäßigen
Grundrechtsbeschränkungen auch im öffentlichen Diskurs vermeintlich
"gerechtfertigt" werden.
Als staatliche Organisation und Vertretung aller Studierenden werden
wir diese Entwicklung und die anstehenden Prozesse genau beobachten
und unterstützen die von Repression betroffenen Personen. Das
Gewaltmonopol der Polizei darf nicht missbraucht werden und
entsprechender Missbrauch muss Konsequenzen nach sich ziehen. Die
Unverhältnismäßigkeit und die Missachtung der Unschuldsvermutung
zeigen, dass ein breiter zivilgesellschaftlicher Solidaritätsprozess
unumgänglich ist!
Deine Solidarität kannst du durch die Anwesenheit an folgenden
Prozesstagen zeigen:
Prozess gegen Josef S. am 21. und 22. Juli in der Justizanstalt
Wien-Josefstadt (Wickenburggasse 18-20, 1080 Wien)
Fluchthilfeprozess am 22. Juli im Landesgericht Wiener Neustadt
(Schwurgerichtssaal im 1. Stock, Maria-Theresien-Ring 5
2700 Wiener Neustadt)
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