- 15.05.2014, 12:00:33
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wien.at-Serie stadtUNbekannt: Der "Heldenbunker" am Gallitzinberg
Wien (OTS/RK) - Der Frühling blüht in Ottakring, am Wilhelminenberg
spazieren WienerInnen mit ihren Hunden über saftiges Gras. Die
meisten von ihnen wissen nicht, was hundert Meter unter ihnen
vergraben liegt.
Vor etwa 75 Jahren war das Gebiet um den Gallitzinberg nahe der
Jubiläumswarte noch militärisches Sperrgebiet und für die
Zivilbevölkerung nicht zugänglich. In den Tiefen des Berges liegen
heute noch Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg verborgen: Das
damalige zentrale Luftwarnsystem für ganz Wien war im Schirachbunker
untergebracht.
Der Historiker Marcello La Speranza beschäftigt sich mit der
Erforschung und Dokumentation der baulichen Hinterlassenschaften aus
dem Zweiten Weltkrieg. "Der Bunker ist für mich interessant, weil er
zeigt, wie die Organisation, die Koordination der Einsatzkräfte in
Kriegssituationen funktionierte", erklärt er auf dem Weg zum
verschütteten Eingang des Schirachbunkers.
Stumme Zeitzeugen
Im Wald bei der Jubiläumswarte stehen drei Betonzylinder,
sogenannte "Ein-Mann-Splitterschutzzellen". Die drei stummen Zeugen
stehen etwas abseits und lassen nur erahnen, was sich hier Mitte des
vorigen Jahrhunderts ereignet hat. La Speranza erläutert, dass diese
Bauwerke bei Luftangriffen als Schutz für die Beobachtungsposten
genutzt wurden. Diese Zellen sind sichtbare Überreste der
unterirdischen Bunkeranlage.
Luftwarnzentrale für ganz Wien
Am Gallitzinberg wurde der Luftraum überwacht und Maschinen der
alliierten Luftflotte gemeldet. Dafür wurden hauptsächlich
Gymnasiastinnen als "Nachrichtenhelfer" eingesetzt. Um die
Bevölkerung vor Angriffen zu warnen, wurde der gefürchtete "Kuckuck"
als Warnsignal über die Radiosender ausgegeben. Wenn die Wienerinnen
und Wiener den "Kuckuck" hörten, wussten sie, dass in weiterer Folge
die Sirenen der "öffentlichen Luftwarnung" ertönen würden. Die
Bevölkerung hatte dann noch eine halbe Stunde Zeit, sich in
Sicherheit zu bringen. Dafür waren Bunker-Anlagen notwendig, welche
auf Anordnung Hitlers in Städten errichtet wurden.
Der damalige Reichsstatthalter von Wien, Baldur von Schirach
(1907-1974), wollte nicht mit dem "gewöhnlichen Volk" in einem
öffentlichen Bunker abwarten. Für ihn und die Parteispitze wurde ein
eigener Kommando-Bunker am Gallitzinberg, der "Gaugefechtsstand",
errichtet. Erst Anfang 1945, kurz vor Ende des Krieges, wurde der
kostspielige Bau fertiggestellt. Den Namen "Heldenbunker" gab ihm der
Volksmund aus Galgenhumor, da Schirach und sein Einsatzstab sich
angeblich immer als Erste in Sicherheit brachten.
Das unterirdische Herz der Anlage
Die Bunkereingänge wurde Ende der 1990er Jahre gesprengt. Heute
gibt es keine Möglichkeit mehr, das Innere des Stollens zu erkunden.
La Speranza beschreibt den Aufbau des Bunkers: "Der Stollen ragt über
150 Meter in das Erdreich hinein. Zwei Umgehungsstollen sollten
verhindern, dass die Druckwellen von Bomben in das Innere gelangten.
Der Hauptraum, sozusagen das Herz der Anlage, ist ein fünf Meter
hohes Gewölbe, wo ursprünglich zwei Geschosse integriert waren. Dort
befanden sich der Gauorganisationsraum, Zeichnungs- und Auswerteraum,
wo die Flugbewegungen der US-Bomber registriert wurden." Die
technische Ausstattung war leistungsstark, ganz besonders die
Funkausrüstung. Die übrige Anlage war spartanisch gestaltet.
Beim Einmarsch der Sowjetarmee im April 1945 wurde der Bunker
geräumt. Der Reichsstatthalter Schirach tauchte unter und wurde in
Tirol gefangengenommen. Beim Nürnberger Prozess wurde er wegen
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu 20 Jahren Gefängnis
verurteilt, da er als Gauleiter die Deportation von 185.000
österreichischen Juden in Konzentrationslager veranlasste. 1966 wurde
er aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen.
Ein Mythos erlischt - Kriegsbau statt Luxusbunker
Nach Ende des Krieges wurde die ehemalige Luftwarnzentrale von
"Schatzsuchern" heimgesucht und geplündert. Die Anlage war nie, wie
lange Zeit angenommen, ein Luxusbunker von Baldur von Schirach -
sondern eine einfache, zweckmäßige Einrichtung für die
Luftwarnzentrale.
Zum Mythos ist der Schirachbunker deshalb geworden, weil er
verschlossen und nicht frei zugänglich ist. "Nicht die vermeintlichen
Schätze, sondern die Geschichte der baulichen Hinterlassenschaften
sollen von öffentlichem Interesse sein. Bunker faszinieren mich
deshalb, weil sie zur Geschichte Wiens gehören, zu den Hotspots der
NS-Geschichte zählen und für nachfolgende Generationen noch immer
nicht ausreichend dokumentiert sind", betont La Speranza. Der
Schirachbunker ist nur eines von vielen unentdeckten, historischen
Denkmälern mitten in Wien.
Fotos und ein Video vom Schirachbunker online auf:
www.wien.gv.at/kultur-freizeit/schirachbunker.html
Mehr Artikel aus der Serie "stadtUNbekannt":
www.wien.gv.at/kultur/chronik/stadtunbekannt.html
(Schluss) hid
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