• 03.12.2013, 19:05:32
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DER STANDARD-KOMMENTAR "Die Stunde der Stillstandskünstler" von Lisa Nimmervoll

Österreich legt bei Pisa zu und landet doch nur dort, wo es schon im Jahr 2000 war - Ausgabe vom 4.12.2013

Utl.: Österreich legt bei Pisa zu und landet doch nur dort, wo es
schon im Jahr 2000 war - Ausgabe vom 4.12.2013 =

Wien (OTS) - Die Finnen haben sich verrechnet! Ja! Das lästige
Vorzeigeland, das mit der Kassandra namens Pisa über viele
Schulsysteme der Welt gekommen war und dessen Erfolg immer unter
Verweis auf die dortige Gesamtschule vorgeführt wurde. Nun endlich
der Beweis, dass die Gesamtschule böse, schlecht und dumm ist - und
macht.
Das war - für geschulte Österreicher nicht wirklich überraschend -
die Reaktion auf erste durchgesickerte, nicht offizielle und medial
noch dazu falsch interpretierte Zahlen der neuen
Schülervergleichsstudie der OECD. Wieder die reflexhafte, fast schon
pathologische Verengung der Bildungspolitik auf die Frage:
Gesamtschule oder nicht? Das ist Österreich. Zumal, wenn es darum
geht, die Claims in einer neuen Regierung abzustecken.
Dabei täte ein genauer, nüchterner Blick auf die Pisa-Daten gut. Die
sind genau genommen ein Symptom für Stillstand. Wie anders wäre es
denn zu interpretieren, wenn etwa der Mathe-Leistungsunterschied der
österreichischen Schüler 2012 im Vergleich zum ersten Pisa-Test 2000
exakt 0,0 Prozent beträgt?! Ist das "spitze"? Ist das offensive
Dynamik nach vorn? Nein.
Das ist Stillstand. Dass es auch Länder mit einer statistisch
nachweisbaren und signifikanten Verbesserung gibt, belegt das: Nicht
nur die immer unter Drill-Verdacht stehenden südostasiatischen
Spitzenländer verzeichnen weitere Leistungszuwächse, und zwar in
allen drei Domänen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften (kann
man Leseverständnis drillen?). Auch kulturell nähere Nachbarn legten
zum Teil stark zu: Deutschland etwa oder besonders stark Polen. Dort
wurde 1999 eine radikale Schulreform umgesetzt: Schulpflicht bis 18
verlängert, und alle Schüler lernen neun Jahre gemeinsam, bis sich
ihre Bildungsjahre trennen. 2000 landete Polen noch im unteren
Drittel, ab dann wirkten die Maßnahmen, und es ging stetig bergauf.
Dorthin sollte Österreich schauen, anstatt hämisch den "Absturz"
Finnlands als Selbstvergrößerungsspiegel zu instrumentalisieren.
Zumal das nordische Land trotz allem noch immer deutlich vor
Österreich liegt.
Sinnvoller ist ein Blick auf das, was wirklich gemessen wurde und was
wirklich herausgekommen ist. Da gilt zuallererst: Pisa misst nicht
Bildung! Pisa misst Lebenschancen und Hoffnungslosigkeit. Die Studie
leistet die Vermessung von grundsätzlichen Kompetenzen, die 15- und
16-Jährige in der Schule erworben haben sollen, um später am
gesellschaftlichen Miteinander, ja, am Leben, so wie es heute ist -
hoch technisiert, komplex, unübersichtlich - teilhaben zu können:
Bedienungsanleitungen entziffern, berechnen, wie viel das
Leasing-Auto wirklich kostet etc. Pisa misst die Alltagstauglichkeit
von Schule.
Die Ränge sind dabei egal! Das ist die trivialste Lesart. Aber Pisa
gibt wichtige Hinweise auf systematische Schieflagen in
Schulsystemen. Sei es die wachsende mathematische Gender-Kluft in
Österreich, die es so nirgends sonst gibt. Oder dass es hier, anders
als vielen anderen Ländern, nicht gelingt, die Potenziale von Kindern
mit Migrationshintergrund bzw. aus sozioökonomisch benachteiligten
Familien zu heben, und dass ein Viertel der Schüler in zumindest
einer der drei Domänen zur "Risikogruppe" gehört. Das alles ist
lebens- und gesellschaftsgefährdend. Und es sind diese vorenthaltenen
Chancen, für die letztendlich irgendwann die gesamte Gesellschaft die
Rechnung bezahlen wird müssen.

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