INTERVENTION: Christian Mayer - Musis et Mulis im Schaudepot Schatzhaus Mittelalter im Prunkstall
Utl.: INTERVENTION: Christian Mayer - Musis et Mulis im Schaudepot
Schatzhaus Mittelalter im Prunkstall =
Wien (OTS) - Als erstes Museum widmet das Belvedere mit der
Ausstellung WIEN 1450 - Der Meister von Schloss Lichtenstein und
seine Zeit dem herausragenden Wiener Maler mit dem Notnamen Meister
von Schloss Lichtenstein - jenem großen Unbekannten, der zu den
bedeutendsten mitteleuropäischen Künstlern seiner Generation zählt -
eine Präsentation. Einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt, gilt
der Künstler als einer der Pioniere jener Umbruchzeit in der
europäischen Kunst des 15. Jahrhunderts, in der sich ein neues
Wirklichkeitsverständnis bemerkbar machte. Seine Werke gehören ebenso
wie der berühmte Albrechtsaltar aus der Kirche Am Hof (heute im Stift
Klosterneuburg) zum Schönsten, das sich aus der Epoche des frühen
Realismus im deutschsprachigen Raum erhalten hat. Die weltweite
Verstreuung des Oeuvres des spätgotischen Malers ist ein
exemplarischer Fall der Dislozierung von zerteilten gotischen
Flügelaltären über den Kunsthandel und Privatsammlungen im 19. und
frühen 20. Jahrhundert. Die kostbaren Tafelgemälde des Meisters von
Schloss Lichtenstein werden nun erstmals wieder gemeinsam präsentiert
und mit bedeutenden Vergleichswerken aus internationalen Sammlungen
kontextualisiert.
In der Kunstgeschichte fand der anonyme Maler unter dem Namen Meister
von Schloss Lichtenstein, benannt nach der Ritterburg bei Reutlingen
in Baden-Württemberg, seinen Platz. Die Präsentation zweier
monumentaler Altarbilder, die Mitte des 19. Jahrhunderts in die von
Wilhelm Graf von Württemberg erbaute und mit seiner reichen
Kunstsammlung ausgestattete Burg Lichtenstein gelangten, trug rasch
zu deren Bekanntheit bei. Seitdem ist das Oeuvre des großen
Unbekannten auf die beträchtliche Anzahl von 23 Tafelgemälden
angewachsen, die in der Zeit vor 1825 buchstäblich
auseinandergerissen und weitläufig verstreut wurden, wodurch das
Wissen um den ursprünglichen Kontext verloren ging. Mit sechs
Tafelbildern beherbergt das Belvedere den größten geschlossenen
Bestand an Arbeiten des Meisters. Diese Werke wurden nach neuesten
wissenschaftlichen Methoden untersucht und restauriert. In der
Ausstellung WIEN 1450 - Der Meister von Schloss Lichtenstein und
seine Zeit werden die kostbaren Tafelgemälde aus der Sammlung auf
Schloss Lichtenstein sowie aus Museen in Augsburg, Basel, Esztergom,
Moskau, München, Stuttgart, Tallinn, Warschau und Wien erstmals
zusammengeführt und mit einer Dokumentation des rekonstruierten
Altarwerks vorgestellt. Nur eine Tafel, jene in Philadelphia, die
wegen ihres instabilen Zustands nicht auf die Reise geschickt werden
durfte, wird durch eine Reproduktion ersetzt; ebenso natürlich die
beiden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs verbrannten
Berliner Bilder.
Wiedergewinnung eines zentralen Werks der Wiener Malerei
Im Zuge der jüngsten Untersuchungen konnte ein doppelt wandelbares
Retabel von über sechs Metern Spannweite zurückgewonnen werden. Die
Zusammenführung der Bilder, die in dieser Form noch nie präsentiert
wurden, bietet die einmalige Gelegenheit einer ganzheitlichen
Betrachtung der Werkgruppe als ursprüngliches Ensemble. "Die
gewonnenen Erkenntnisse setzen sämtlichen bisherigen Spekulationen
zur Frage, ob und wie die einzelnen Bilder zusammengehören, ein Ende.
Alle überlieferten Tafelgemälde des Meisters stammen von einem
einzigen monumentalen Flügelaltar, der in der Ausstellung konkrete
Gestalt annimmt. Angesichts der hohen Verluste von mittelalterlichen
Retabeln ist die Rekonstruktion eines derart umfangreichen und
qualitätsvollen Bilderzyklus eines spätgotischen Altarwerks ein
seltener Glücksfall. Mit der gelungenen Zusammenführung ist nun auch
ein zentrales Werk der Wiener Malerei wiedergewonnen, das dem
berühmten Bilderzyklus des Albrechtsaltars im Stift Klosterneuburg
durchaus ebenbürtig zur Seite steht", so Agnes Husslein-Arco,
Direktorin des Belvedere. Diese Qualität mache vor allem auch der
zweite Schwerpunkt der Ausstellung, den eine Auswahl von Werken der
Wiener Malerei, Zeichenkunst und Skulptur der Zeit bildet,
nachvollziehbar. Im direkten Gegenüber mit dem Oeuvre des Meisters
von Schloss Lichtenstein werden dessen künstlerische Herkunft und
sein Umfeld deutlich.
Entfaltung und Cross-over
"Ursprünglich konnte man, entsprechend dem zeitlichen Wechsel der
liturgischen Aufgaben, stets nur eine der drei unterschiedlich
gestalteten Schauseiten des Flügelaltars betrachten. Erstmals wird im
Rahmen der Ausstellung das umfangreiche Bilderensemble des Meisters
von Schloss Lichtenstein in der Orangerie simultan präsentiert, indem
die einzelnen Wandlungen aneinandergereiht, buchstäblich also
entfaltet werden", erklärt Veronika Pirker-Aurenhammer, Kuratorin der
Ausstellung. Den Beginn der Schau bilden die beiden großen Tafeln der
Festtagsseite, gefolgt vom Marien- und Jugend-Jesu-Zyklus und
schließlich vom dritten Teil, der die Passionsserie des vollständig
geschlossenen Altars zeigt. So erschließen sich die Schauseiten des
Retabels sozusagen umgekehrt, im ganz geöffneten Zustand beginnend.
"Aufgrund des Verlusts der sicherlich reich vergoldeten
Altararchitektur und der skulpturalen Teile kann der damals
überwältigende Eindruck natürlich nur ansatzweise vergegenwärtigt
werden. Darüber hinaus visualisiert eine Rekonstruktion im Maßstab
1:1 die ehemaligen Dimensionen des Retabels. Das gewählte Display
erlaubt es also, das Kernstück der Ausstellung, den Altar des
Meisters von Schloss Lichtenstein, Bild für Bild zu studieren", fügt
die Kuratorin hinzu. Gleichzeitig stellt die räumliche Entfaltung
auch im Sinne eines visuellen Cross-over Querbezüge zu anderen
Exponaten her - Werke der unterschiedlichsten Medien, etwa
Tafelbilder, Zeichnungen, Buchmalereien oder Skulpturen,
kontextualisieren die bildkünstlerischen, inhaltlichen und
funktionellen Dimensionen des großen Altars. Schließlich ist es der
hohen Wertschätzung im 19. Jahrhundert zu verdanken, dass von dem
großen, ursprünglich wohl 26 Bilder umfassenden Altarensemble des
Meisters von Schloss Lichtenstein insgesamt nur drei Tafeln nicht
erhalten blieben.
Wien um 1450
Die Vielfalt und die Wechselbeziehungen der gezeigten Objekte legen
Zeugnis ab vom Reichtum der künstlerischen Produktion in Wien, das
schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu einer Großstadt
angewachsen war. Von der späteren Warte der Zeit um 1450 ausgehend,
in der sich die Wende zu einem neuen Realismus - ein
gesamteuropäisches, letztlich von den Niederlanden ausgehendes
Phänomen - bereits durchgesetzt hatte, wird auf Aspekte der früheren
Wiener Malerei zurückgeblickt. Gefragt wird, wie dieser künstlerische
Generationswechsel im Konkreten stattfand, wie etwa der Meister von
Schloss Lichtenstein auf etablierte Motive zurückgriff und mit neuen
Lösungen experimentierte oder wie bereits ältere Retabel ein
Anspruchsniveau formulierten, auf das auch modernere Künstler
reagierten. Dabei zeigen die stilistischen und vor allem
ikonografischen Bezüge des Lichtensteiners zu älteren oder weniger
fortschrittlichen Werken, dass der Schnitt zwischen den Generationen
oder Epochen keinesfalls geradlinig verläuft.
Das Forschungsprojekt Die Wiener Tafelmalerei der Spätgotik
und der Frühen Neuzeit 1430-1530
Im Rahmen des vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank
geförderten Forschungsprojekts Die Wiener Tafelmalerei der Spätgotik
und der Frühen Neuzeit 1430-1530 gelang der Nachweis, dass die
einzelnen Bilder einst zu einem großen Flügelretabel gehörten.
Zahlreiche Analysen der weltweit verstreuten Tafelbilder führten zu
bahnbrechenden Ergebnissen, die im Rahmen der Ausstellung präsentiert
werden. Im Zuge des Projekts wurde auch eine Bilddatenbank aufgebaut,
die rund 900 Dateien umfasst, darunter etwa eine komplette Serie
neuer Infrarotreflektografien vom Znaimer Altar und von allen Tafeln
des Wiener Schottenaltars.
Veronika Pirker-Aurenhammer ist Kuratorin der Mittelaltersammlung des
Belvedere und Leiterin des oben genannten Forschungsprojekts. WIEN
1450 - Der Meister von Schloss Lichtenstein und seine Zeit wurde
gemeinsam mit der wissenschaftlichen Projektbearbeiterin Antje-Fee
Köllermann konzipiert. Für die kunsttechnologischen Befunde zeichnete
Stefanie Jahn (Belvedere) verantwortlich. Zur Ausstellung erscheint
ein Katalog, der sich mit dem Werk, der künstlerischen Genese und dem
Umfeld des Meisters von Schloss Lichtenstein umfassend
auseinandersetzt.
INTERVENTION: Christian Mayer - Musis et Mulis
Parallel zu WIEN 1450 - Der Meister von Schloss Lichtenstein und
seine Zeit eröffnet im Schaudepot Schatzhaus Mittelalter eine
Intervention des in Wien lebenden Künstlers Christian Mayer. Bereits
seit 2007 werden nationale und internationale Künstlerinnen und
Künstler eingeladen, mit speziell entwickelten ortsspezifischen
Arbeiten auf die Sammlung des Museums sowie auf die Architektur und
die Geschichte des Hauses einzugehen. Im Zuge der
Ausstellungsvorbereitungen zu WIEN 1450 wurden aus dem neben der
Orangerie gelegenen ehemaligen Prunkstall des Prinzen Eugen, der
ursprünglich dessen Leibpferde beherbergte und vor einigen Jahren zu
einem modernen Schaudepot für rund 150 Objekte sakraler
mittelalterlicher Kunst umgestaltet wurde, einige der Tafelbilder
entfernt. Die dadurch entstandenen Lücken in der Präsentation wurden
zum Anlass genommen, einen Künstler einzuladen, sich mit dem Ort und
seinen Exponaten auseinanderzusetzen, die temporären Veränderungen
produktiv zu nützen und um neue Perspektiven zu erweitern.
Musis et Mulis - den Musen und den Maultieren: Mit dieser ironischen
Bezeichnung kommentierten Berliner Bürger Anfang des 18. Jahrhunderts
die Tatsache, dass Kurfürst Friedrich III. im Obergeschoß des
königlichen Marstalls die Akademie der Künste einrichten ließ. Indem
Christian Mayer dieses Motto aufnimmt, verweist er auf die
verschiedenen Nutzungen des Prunkstalls im Verlauf der Zeit, vom
Marstall des Prinzen Eugen bis zum Ausstellungsraum bildender Kunst.
Seine mehrteilige Installation verschränkt die Zeitschichtungen des
barocken Raumes und der mittelalterlichen Exponate und thematisiert
Prozesse kultureller Aneignung und Musealisierung wie auch die
(Un-)Möglichkeiten der Bewahrung, der authentischen Rekonstruktion
oder der symbolischen Aktualisierung. Gezielt greift Christian Mayer
in die dichte Präsentation sakraler Bilder ein: So bringt er
Stützkonstruktionen aus Holz oder Leinwand zum Vorschein, die auf den
Ursprung der Tafeln als beidseitig bemalte Altarflügel hindeuten, die
anlässlich ihrer musealen Präsentation um 1900 gespalten wurden.
Zudem transferiert Mayer Holzpfähle, die zu Beginn des 18.
Jahrhunderts als unterirdische Stützen des Berliner Stadtschlosses
eingesetzt wurden, in Form eines skulpturalen Ensembles von ihrem
ursprünglichen Stütz- in einen Kunstkontext. Symbolische und
materielle Transformationen visualisiert er schließlich auch in einer
Videoarbeit, die gemeinsam mit den anderen Teilen der Installation
eine räumliche Erzählung rund um Konservierung und Beschützung, den
Kampf gegen den Zerfall, Entwesung und Verwesung sowie die
Vergänglichkeit durch die Zeit bildet.
"Christian Mayers Eingriff in die bestehende Präsentation wie auch
seine installativen Erweiterungen zeugen von dem Potenzial, das in
der Konfrontation alter und zeitgenössischer Kunst liegt. Seine
Installation vereint in bester Weise Recherche, Reflexion und
Inspiration und eröffnet uns neue Perspektiven auf die Geschichte der
Räume und der Sammlung wie auch auf Effekte der Musealisierung an
sich."
Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere
"In seiner rechercheorientierten künstlerischen Praxis beschäftigt
sich Christian Mayer oftmals mit Prozessen der Historisierung und
ihrer Bedeutung in der Gegenwart. Für den gegebenen Kontext des
Prunkstalls hat er eine Installation entwickelt, die bislang
unbeleuchtete Aspekte des Raumes und der in ihm gezeigten Exponate
sichtbar macht und gleichzeitig um neue Bedeutungsebenen anreichert.
Dabei reflektiert er zufällige wie auch beabsichtigte
Transformationen von Materialitäten über die Zeit, in denen sich
durchaus widersprüchliche Motive und Interessen spiegeln: von der
kulturellen und physischen Aneignung durch das Museum über die
Sehnsucht nach authentischer Rekonstruktion hin zum Eigensinn der
Dinge."
Luisa Ziaja, Kuratorin der Intervention
Die Ausstellung sowie die Intervention sind von 8. November 2013 bis
23. Februar 2014 zu sehen.
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