• 20.09.2013, 14:32:14
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Stelzhammer und Lorenz im Interview zum Thema: Leistbares Wohnen - Wunschdenken oder Wirklichkeit

Wien (OTS) -

- Mag. Markus Sommersacher, Coach, Trainer, Moderator
- Architekt Walter Stelzhammer, Präsident der Kammer der Architekten
und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland
- Architekt Peter Lorenz, peterlorenzateliers_innsbruck_wien

MS: Herr Lorenz, ist das Schlagwort, das jetzt im Wahlkampf die
Runde macht, nämlich vom leistbaren Wohnen Ihrer Ansicht nach
berechtigt oder nur ein hohles Versprechen?

LO: Die Kosten im Wohnbau sind in den letzten Jahren deutlich
gestiegen. Diese Mehrkosten sind aber leider nicht etwa auf eine
höhere Qualität oder größere Wohnungen zurückzuführen - sondern auf
eine Vielzahl von Ursachen, die uns immer mehr entgleiten.
WS: So wurden z.B.,in den Bereichen Nutzungssicherheit und
Barrierefreiheit, Brandschutz, Schallschutz, Energieeinsparung sowie
Wärmeschutz die Mindestanforderungen für den Wohnungsbau deutlich
erhöht. Das Gute im Moment: Seit Monaten beschäftigen sich alle an
dem Thema "leistbares Wohnen" beteiligten Experten und Vereinigungen
überraschend harmonisch mit einem Zurückfahren der überbordenden
Regelwerke.

MS: Sie vertreten die These, dass die Kostenindikatoren alle nach
oben zeigen, unter anderem deswegen, weil z.B. die Bauvorschriften
und Normen in den letzten Jahren explodiert sind, ist das fundiert?

LO: Ja, das ist fundiert und das entspricht einer gesamten
europäischen Entwicklung, die leider alle unsere Lebensbereiche
trifft. Überbürokratisierung und exzessive Normierungen sind aber
kein Fortschritt sondern ein Grabgesang.

WS: Zu hinterfragende baurechtliche Anforderungen tragen neben den
steigenden Grundkosten wesentlich zu erhöhten Errichtungskosten bei.
Vor allem wir als Planer leiden unter den verschiedenen vernetzten
Regelwerken, die neben dem zusätzlichen unbezahlten Planungsaufwand
Bauwerke komplizierter und daher teurer machen.

MS: Eine Überbürokratisierung, die ihren Grund wo hat, in der EU?

LO: Es ist vielleicht die europäische Pest des 21. Jahrhunderts -
in Österreich wollen wir zu den Vorzugsschülern gehören und eher
vorauseilen beim exzessiven Produzieren von Normen und
Bauvorschriften. Ein Beispiel: eines der bedeutendsten modernen
Gebäude ist die Oper in Oslo: in Österreich unbaubar - weil die
Rampen zu steil sind.

MS: Frage, auch deswegen, weil dahinter eine Unsicherheit steht,
jeder will sich absichern, indem er meint, dass man mehr Vorschriften
herausgibt, ist man eher "on the safe side", ist das so?

LO: Für mich ist das eine tragische Dekadenz unserer Kultur,
dass wir immer weniger Verantwortung übernehmen, übertriebene
Sicherheiten wollen, über alles und jedes ein schriftliches Gutachten
brauchen - ein endloser, unproduktiver Papierkram.

MS: Nennen Sie da ein paar Beispiele, oder ein Beispiel.

LO: Ein Beispiel, das jeder versteht: In Österreich gibt es
ständig neue Normen für Stiegengeländer und Handläufe, mittlerweile
ist nur mehr eine einzige Art möglich, die auf den mm genau definiert
ist - wozu eigentlich? Alle anderen Geländer, die es überall gibt und
die auch ihren Zweck erfüllen, sind nicht mehr ausführbar. Wir leben
in einem hysterischen Sicherheits-, Standardisierungs- und
Normungswahn, der natürlich unsinnige Kosten produziert. Ein anderes
heikles Thema ist der anpassbare Wohnbau. Jede Wohnung muss nun
anpassbar sein für den Fall, dass der Wohnungsbenutzer eines Tages
im Rollstuhl sitzt - diese tragische Wahrscheinlichkeit trifft uns
mit einem Hunderstelprozentsatz - d.h. JEDER bezahlt dafür ca. 3% an
zusätzlichen Baukosten. Macht das überhaupt einen Sinn? Die Folge:
Ein Rollstuhlfahrer im 6. Stock kommt wenn es brennt gar nicht mehr
runter, weil ja der Lift z.B. im Brandfall ausfällt. Und das ist
unser Fortschritt???

MS: D.h. Überbürokratisierung, aber an der falschen Stelle?

LO: also Überbürokratisierung ist natürlich immer falsch. Die
Politik ist damit vollkommen überfordert, diese Normierungswut
einzubremsen.

MS: Auch die wollen sich absichern.

LO: jeder will sich endlos absichern. Da gibt es auch die absurde
Entwicklung im Brandschutz. Obwohl es ja kaum mehr Wohnungsbrände
gibt, und die, die es gibt, sind praktisch nicht zu vermeiden, werden
die Brandschutznormen ständig verschärft. Das macht keinen Sinn
mehr. Drastisch formuliert: 99 % der europäischen Gebäude
entsprechen nicht unseren derzeitigen Normen. Zum Verständnis ein
Vergleich: Stellen sie sich vor, wir hätten auf den Autobahnen ein
Geschwindigkeitslimit von 30 km/h eingeführt um die Verkehrsunfälle
zu reduzieren.

MS: Sie sprechen bezüglich der Baudichten wortwörtlich von einer
"Angst vor Dichte".

LO: Gut - das ist natürlich nicht überall in Österreich gleich.
Aber grundsätzlich haben Städte und Dörfer in Österreich die
Notwendigkeit, innerhalb ihrer Grenzen zu verdichten- eine hohe
Qualität immer vorausgesetzt.

MS: Ohne dass man wieder eben in die Breite nach außen geht?

LO: Ohne dass man vorerst in die Breite geht. Die Erweiterung der
Orte ist erst als letztes Mittel legitim.

MS: Das bestehende, was vorhanden ist, noch besser nützt.

LO: Genau das. Der größte Vorteil dabei ist, dass alle
Infrastrukturen bereits vorhanden sind, in der Innenstadt haben wir
die Straße, den Kanal, das Wasser, den Autobus, - während bei den
Stadterweiterungen alles dazu kommt an zusätzlichen Kosten. Die
Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung in Österreich ist sehr starr,
sehr träge, wir reden da von Jahren statt von Monaten - viele
Bebauungspläne in Österreich sind mehrere Jahrzehnte alt. wir müssten
da etwas verbessern, was schneller und flexibel auf die
Anforderungen reagieren kann. Langsamkeit kostet Geld - sehr viel
Geld.

WS: Da gibt es einen positiven Ansatz in Wien: die Einführung
einer eigenen Widmungskategorie "förderbarer Wohnbau" ist angedacht -
verankert in der Wiener Bauordnung. Als weitere Maßnahme soll in
Zukunft eine befristete Baulandwidmung verhindern, dass Grundflächen
mit Widmung "Bauland" von ihren Eigentümern in nicht absehbarer Zeit
bebaut, also gehortet werden. Wenn die Baubewilligung innerhalb Frist
nicht erwirkt, bzw. nicht konsumiert wird, erlischt, bzw. verfällt
auch die Widmung. Mit dieser Maßnahme soll im Zusammenhang mit dem
dringenden Wohnbaubedarf eine bodenmobilisierende Wirkung erzielt
werden.

MS: Zurück zur Verdichtung: es ist vielleicht eine heikle Partie,
wenn viele Leute sagen, nein ich will nicht wie in der
Mehlwurmkiste dem anderen so auf der Pelle sitzen.

LO: Die Konflikte gibt's: ein Elternpaar kommt zum Bürgermeister
sagt, "...können Sie verhindern, dass dort ein neuer Wohnbau
entsteht...". Und am Nachmittag kommen deren Kinder und sagen "...
bitte schauen Sie, dass wir in dem neuen Wohnbau eine Wohnung
bekommen..". Jeder, der eine Wohnung hat möchte, dass der Nachbar
seinen Obstgarten beibehält. Diese Konflikte muss man mediativ
ausräumen - ändert aber nichts an der Notwendigkeit, dass wir
verdichten müssen mit höchster Qualität. Das ist eine wichtige
Voraussetzung für den leistbaren Wohnbau. Verdichtung führt
jedenfalls zu einer Preisreduzierung. Schon allein weil das Angebot
steigt.

MS: Eines der großen Themen in letzter Zeit sind Energiekosten.
Rein subjektiv hat jeder das Gefühl, dass die Energiekosten nicht nur
für den Verkehr, sondern auch beim Wohnen explodieren sind. Ist das
reversibel?

LO: Eigentlich stimmt das nicht. Die Heizungskosten z.B. pro m2
sind in den letzten 30 Jahren ungefähr 10 % von dem was wir z.B. vor
30 Jahren dafür aufgewendet haben. Wir reden wirklich nur noch von
grob gesprochen einem Zehntel an Energiebedarf. Und wir erleben, dass
Mieter umziehen in neue Gebäude, weil die Energiekosten deutlich
geringer sind. im gegenteil: die Sinnhaftigkeit von teuren
Passivhäusern wird sehr kontroversiell diskutiert.

MS: Einer der größten Würmer im Bereich leistbares Wohnen ist die
Überbürokratisierung, die Verwaltung, die überflüssigen Vorschriften,
führt das auch zu längeren Zeitabläufen?

LO: Anders als früher versuchen viele Anrainer alles zu
verhindern. Wir benötigen heute für Bauverfahren meistens länger als
für das Bauen selbst. Projekte mit Verfahren, die über 5, 8 und 10
Jahre sind keine Seltenheit. Und das ist natürlich viel zu lange und
zu teuer. "Zeit kostet Geld" - letztlich bezahlt das der Mieter und
der Käufer.

MS: Abgesehen von einer Ent-Bürokratisierung, wie kann man
tatsächlich eine Senkung der Wohnkosten erreichen?

LO: Die Qualität und die Größe der Wohnung sollte das letzte sein
beim Einsparen. Sonst fallen wir zurück in die Nachkriegszeiten. Das
betrifft auch den Städtebau und die Architektur. Vor 20 Jahren hatten
die 3-Zimmer-Wohnungen ca. 90 m2, heute betragen sie rund 70 m2. Ich
hielte es für besser, die zuvor erwähnten Kostenfaktoren zu
durchleuchten und rasch mit den Experten durchzuschauen - ein
Potential zwischen 10 bis 20 % ist realistisch.

MS: Das wollte ich jetzt gerade fragen, gibt es also berechtigte
Hoffnung, die Kosten in absehbarer Zeit um diesen Betrag zu senken?
10 bis 20 % erscheinen ziemlich viel.

LO: Das wäre machbar. Allein durch eine Einsparung von überzogenen
Bauvorschriften der letzten 5 Jahre, allein das würde bis zu 8-10 %
ausmachen.

WS: Die Umsetzung der aktuellen Änderungsvorschläge unserer
Regelwerke definieren Einsparungspotentiale, die zu einer Reduktion
der Errichtungskosten von Wohngebäuden bis zu EUR 150/m2 Nfl führen
würden. (= ca. 10%)

MS: Welche weiteren konkreten Vorschläge haben sie damit der
Wohnbau leistbarer werden kann?

WS: Die Wiener Stadtpolitiker Michael Ludwig und Christoph
Chorherr haben nun einige wichtige Neuerungen zur Unterstützung von
kostengünstigem Bauen und Wohnen mit richtungsweisenden
Verbesserungen für eine Wiener Bauordnungsnovelle 2014 vorgelegt.
Die Kfz-Stellplatzverpflichtung soll derzeit von 1:1 nur mehr 1/100
m2 Nutzfläche sein. Die Folge ist eine Reduktion der auf die
einzelnen Wohnungen entfallenden Baukosten. Je kleiner die
Wohnnutzfläche, wie z.B. bei SMART-Wohnungen, desto geringer wird
die Stellplatzverpflichtung sein. Die in Wien noch vorgeschriebene
Errichtung von Notkaminen soll als weiterer Kostentreiber entfallen.
Allerdings fehlt bis dato eine Gesamtbetrachtung der einzelnen
Regelwerke, die ein sinnvolles Abwägen der angemessenen
Nutzungserfordernisse mit der Leistbarkeit hinsichtlich des
wirtschaftlichen Mehraufwandes bei der baulichen Umsetzung
ermöglicht.

LO: Das ist vorbildlich - aber es müssen noch etliche weitere
dazu kommen über den Brandschutz, den anpassbaren Wohnbau, die
Bauverfahren, usw. was immer wir einsparen könnenn wir in billigere
oder bessere und größere Wohnungen stecken. 10 - 20% ist da schon ein
großes Potenzial.

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