Hallstatt: Sind Ignorieren des Jahrhunderte alten Erfahrungswissens und mangelhafte Bedienung schuld am Hochwasser?
Wien (OTS) - Seit über einem halben Jahrtausend (!) dienen Wasserbauten der Kulturlandschaft UNESCO-Welterberegion Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut und schützen sie gleichzeitig vor Naturgewalten. Innovativ wäre die Kombination der modernen meteorologischen Prognosemöglichkeiten mit dem historischen Erfahrungswissen. Damit würde es möglich werden, den Spiegel des Hallstättersees vor einer Regenperiode rechtzeitig und ausreichend abzusenken, um das Hochwasser abzufangen.
Die Seeklause am Ausfluss des Hallstättersees ist nicht nur das älteste, seit über 500 Jahren in Funktion erhaltene technische Bauwerk des Landes, sondern auch ein Musterbeispiel für nachhaltigen Wasserbau. Sie besteht aus zwei voneinander getrennten Bauten, der eigentlichen Klause und dem Polster, einem 40 m flussabwärts gelegenen Gegenwehr. Die eigentliche Klause besteht aus 12 hölzernen, mit Steinen gefüllten Kästen, den "Klausstuben", welche in einer Reihe quer über dem Seeausfluss stehen. Die 11 Öffnungen zwischen den "Klausstuben" können durch Tore verschlossen werden, die um senkrechte Achsen drehbar sind. Diese Drehachsen decken sich nicht mit den Symmetrieachsen der Tore, die so selbstregulierend in die Strömungsrichtung des Wassers einpendeln. Um die Klaustore im geschlossenen Zustand vom Wasserdruck zu entlasten, wurde unterhalb der Klause der Polster, ein etwas niedrigerer Zwischenstau, geschaffen. Mit dieser genial einfachen Einrichtung, die aus den lokal vorhandenen Baustoffen Holz und Stein gebaut ist, können sehr schnell Wassermassen von bis zu 35 Kubikmetern pro Sekunde aus dem Hallstättersee abgelassen werden. Damit wurde es mit Beginn des 16. Jahrhunderts möglich, den Wasserstand der Traun zu regulieren und sowohl für die "Naufahrt" der Salzzillen und die Holztrift als auch für die Gegenzüge die nötige Tauchtiefe zu bieten. Durch das gezielte Öffnen und Schließen einzelner Klaustore ist es aber auch möglich, den Seespiegel sehr fein zu regulieren. Dazu bedarf es allerdings einer kompetenten Fachkraft, des "Klausmeisters" für Betrieb und Wartung. Dem Zeitgeist des 20. Jahrhundert blieb es vorbehalten, diesen Dienstposten einzusparen und zu versuchen, die Seeklause ferngesteuert zu bedienen.
Im Juli 1884 vermurte der Mühlbach Hallstatt ganz ähnlich wie vergangene Woche. Es erscheint sinnvoll, die damals gesetzten Schutzmaßnahmen in Ihrer Langzeitwirkung zu analysieren. Die Mühlbachverbauten aus Steinquadern haben nicht nur den Wassermassen standgehalten, sondern fügen sich auch harmonisch in das Orts- und Landschaftsbild. Der Mühlbachausbau überwindet eine Höhendifferenz von über 600 Metern und besaß im Ortszentrum von Hallstatt ursprünglich drei Abflusskanäle zum See hin. Zwei dieser steingemauerten "Fluder" sind - im 20. Jahrhundert - jedoch zugeschüttet worden. Eine Re-Aktivierung dieser Kanäle als Entlastungsgerinne wäre nicht nur eine Bereicherung für das Ortsbild, sondern in Zukunft auch ein zuverlässiger Schutz vor den Wassermassen.
Um Hallstatt in Zukunft vor Naturgefahren wieder sicherer machen zu können, sollte neben moderner Technologie auch historisches Erfahrungswissen angewandt werden. Es sollte wieder Personal für die regelmäßige Räumung des Mühlbachbettes zur Verfügung stehen. "Steinbewahrer" sollten, wie lange Zeit üblich, in den Steilhängen über dem Welterbe-Ort die losen Steine sichern, und auch die Seeklause sollte wieder von einem ortsansässigen "Klausmeister" bedient und gewartet werden. Das Wissen um die seit Jahrhunderten erfolgreich funktionierenden Systeme ist sowohl Grundlage als auch Garant für eine gesicherte Zukunft. Investitionen in die permanente Wartung sind immer billiger als die Folgekosten vermeidbarer Auswirkungen der stets von Ängsten und Gefährdungen begleiteten Naturkatastrophen.
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Dr. Günter Dinhobl
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