- 23.05.2013, 13:00:33
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Wikingerzeitlicher Häuptlingssitz in Borre, Südnorwegen entdeckt
Wien (OTS) - Das LBI für Archäologische Prospektion und Virtuelle
Archäologie entdeckt mit speziell entwickelten Bodenradarsystemen
einen in seiner Struktur einzigartigen Häuptlingssitz in Borre (NO).
Die Jahrtausende währende Besiedlung Europas durch den Mensch hat
archäologische Spuren im Boden hinterlassen - Spuren die mit
modernster zerstörungsfreier Messtechnik am Computerbildschirm wieder
sichtbar gemacht werden können. Das Ludwig Boltzmann Institut für
Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro)
kartierte in den letzten drei Jahren mit seinen europäischen Partnern
mit modernster Technologie flächendeckend den Untergrund bedeutender
wikingerzeitlicher Fundstellen in Südnorwegen. Die vom LBI ArchPro
untersuchten, als UNESCO Weltkulturerbe nominierten Landschaften rund
um die berühmten Schiffsgräber von Gokstad und Oseberg und den
bedeutenden südnorwegischen Bestattungsplatz Borre mit den größten
wikingerzeitlichen Grabhügeln Skandinaviens offenbarten bis dahin
unbekannte Siedlungsmuster. Im Winter 2013 wurde vom
österreichisch-norwegischen Team mit neuen, speziell für den
Wintereinsatz auf verschneiten Flächen entwickelten
Bodenradarsystemen ein in seiner Struktur einzigartiger
Häuptlingssitz in Borre entdeckt.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und
Virtuelle Archäologie (http://www.archpro.lbg.ac.at/) und seine
norwegischen Partnerorganisationen NIKU (http://www.niku.no/) und
Vestfold Fylkeskommune (http://www.kulturarvvestfold.no/) sind an den
wikingerzeitlichen Fundplätzen von Kaupang, Gokstad und Oseberg sowie
auch im Bereich des bedeutenden Nationalparks Borre am Oslofjord
tätig und konnten in kurzer Zeit unter Einsatz moderner
zerstörungsfreier archäologischer Untersuchungsmethoden den Boden
durchleuchten und faszinierende neue Erkenntnisse zur Wikingerzeit
gewinnen.
Fundort Borre: Hafen der Häuptlinge - Königreich der Toten
Der Fundort Borre in der Gemeinde Horten, Vestfold, umfasst die
größte Ansammlung monumentaler Grabhügel aus der Zeit von ca. 600 -
900 n.Chr. Der Fundort ist heute Teil eines ca. 18 Hektar umfassenden
archäologischen Nationalparks, dessen weitere Umgebung Ziel der
Untersuchungen des LBI ArchPro ist. Neun erhaltene monumentale
Grabhügel neben ehemals drei weiteren großen Grabhügeln waren primär
vom Meer, dem Oslofjord, aus sichtbar. Ursprünglich wurden die
imposanten Bestattungen in Borre mit den aus den nordischen Sagas
bekannten Clan der Ynglinger verbunden. Neuere DNA Analysen zeigen
jedoch, dass der ausgedehnte Bestattungsplatz von herausragende
Personen verschiedener Familien verwendet wurde.
Neueste Entdeckung: Wikingerzeitlicher Häuptlingssitz
Besondere Bedeutung kommt nun der letzten Entdeckung des LBI
ArchPro zu. Mit Hilfe von speziell für diese Untersuchungen
entwickelten schneetauglichen Bodenradarsystemen wurde im März 2013
die nähere Umgebung des Bestattungsplatzes bis in 2 m Tiefe
durchleuchtet. Auf der Suche nach Siedlungsstrukturen wurden die
hochauflösenden dreidimensionalen Messbilder, die westlich des
archäologischen Parks auf einer Fläche über 20 Hektar aufgenommen
wurden von den Spezialisten des LBI ArchPro und ihren norwegischen
Kollegen analysiert. Neben zahlreichen Flakstellungen und Laufgräben
aus dem Zweiten Weltkrieg die in den Radardaten sichtbar wurden,
konnten nördlich davon auf einer ehemaligen Strandterrasse gelegen
die Überreste eines typischen wikingerzeitlichen Langhauses mit
mehreren Nebengebäuden im Untergrund entdeckt werden. Für die
Errichtung des Gebäudes wurde eine Terrasse mit einer Gesamtfläche
von 1500 m2 aufgeschüttet. Auf diesem ebenen Baugrund wurde ein
parallel zum Strandverlauf ausgerichtetes Langhaus mit 47 m Länge und
ca. 650 m2 Innenraum errichtet. Das Gebäude weist einen
dreischiffigen Aufbau mit einer Breite zwischen 12 und 14 m auf. Zum
Meer hin besaß das Gebäude einen Vorbau mit zentralem Eingang. Das
Langhaus besitzt weitere Eingänge an der nordöstlichen Schmalseite
sowie auf der dem Meer abgewandten Längsseite. Die zentralen
dachtragenden Holzpfosten lassen sich in den Radardaten durch die
Gruben, in welche sie eingesetzt wurden, detektieren. Diese
Pfostengruben weisen Durchmesser von 1 - 1.5 m auf und belegen
deutlich die monumentale Ausformung dieses Gebäudes. Die typische
Ausbildung der dem Meer abgewandten Längswand mit schräg stehenden,
die Dachlast tragenden Pfosten, ist ein Hinweis auf die zeitliche
Einordnung des neu entdeckten Hauses. Die Forschungen diesbezüglich
sind zwar noch nicht abgeschlossen, deuten aber darauf hin, dass es
sich um ein Gebäude handelt das an das Ende der Belegungszeit des
Gräberfeldes zu datieren ist. Die durch die zerstörungsfrei mit
Radarmessungen detailliert kartierten Strukturen werden als die
vergleichsweise gut erhaltenen Überreste eines wikingerzeitlichen
Häuptlingssitzes interpretiert, der das Bild des ursprünglich als
reinen Versammlungs- und Bestattungsplatz gedeuteten Fundortes in
Borre in neuem Licht erscheinen lässt.
Versammlungen und Bestattungen in Borre
Borre war ein bedeutender Platz für regionale Häuptlinge zur
Manifestation ihrer Macht und ihres Einflusses auch in der Zeit nach
ihrem Tode. In dieses Bild passen die durch erste Bodenradarmessungen
entdeckten, sogenannten Königshallen, von denen eine derzeit im
Maßstab 1:1 vom LBI ArchPro Partner Vestfold Fylkeskommune und dem
Midgard Museum im archäologischen Park rekonstruiert wird. Von den
ursprünglich mindestens zwölf Monumentalgräbern wurde eines 1852 für
die Entnahme von Schüttmaterial für den Straßenbau teilweise
zerstört. Die nachfolgenden Grabungen ergaben eine Schiffsbestattung
mit einem 17-21 m langen Wikingerschiff. Aufgrund der Funde ist
dieses Monument in direktem Zusammenhang mit den weltbekannten
Wikingerschiffen von Gokstad, Oseberg und Tune zu sehen, die sich
heute zusammen mit den zahlreichen Fundobjekten aus Borre im
Wikingerschiffmuseum in Oslo befinden. Der durch die Grabungen im
neunzehnten Jahrhundert fast vollständig zerstörte Grabhügel konnte
aufgrund der in den Untergrund reichenden Grabgruben und die ehemals
umlaufenden Gräben nun ebenfalls über die Bodenradarmessungen wieder
genau lokalisiert werden.
Hafenanlage
Aufgrund der Belege für einen offensichtlich nicht nur lokal
bedeutenden Bestattungsplatz, die Schiffsbestattungen und der Fund
der monumentalen Hallen, welche vermutlich der Aufbahrung und
Verehrung der Toten im Rahmen von Ritualen und Festen dienten, ist
Borre als zentraler Versammlungs- und Bestattungsplatz zu
interpretieren, der wiederkehrend aufgesucht wurde. Dadurch und ob
der erwiesenen besonderen Sichtverhältnisse auf die monumentalen
Grabhügel ausschließlich vom Meer aus, stellte sich im Rahmen des
österreichisch-norwegischen Großprojektes auch die Frage nach
entsprechenden Hafenanlagen. Eine detaillierte Auswertung, mit den
vom LBI ArchPro neu entwickelten Verfahren, der aus der Luft
aufgenommenen Laser Scanner Daten sowie weitere geophysikalische und
geoarchäologische Untersuchungen erbrachten nun den Nachweis einer
strukturierten Hafenanlage mit Wellenbrechern und Hafenbecken, die
das Anlanden großer Schiffe und Boote an diesem Zentralort im
Oslofjord möglich machten. Im Umfeld des Fundortes konnten zwar
bereits einige wikingerzeitliche Feldfluren untersucht werden, eine
zugehörige größere Siedlung konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt jedoch
nicht gefunden werden.
Download Pressemappe und Bildmaterial (ab 13 Uhr):
www.archpro.lbg.ac.at/press-release/wikingersitz-borre
Über das LBI für Archäologische Prospektion und Virtuelle
Archäologie
Das Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und
Virtuelle Archäologie (archpro.lbg.ac.at) ist ein Forschungsinstitut
der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (www.lbg.ac.at) und wurde 2010
gegründet. Das Institut führt seine Forschungsaktivitäten gemeinsam
mit internationalen Partnerorganisationen durch und zielt auf die
Errichtung eines Netzwerks von Forschern die gemeinsam
interdisziplinäre archäologische Forschungsprogramme zur Entwicklung
großflächiger, effizienter und zerstörungsfreier Methoden zur
Entdeckung, Dokumentation, Visualisierung und Interpretation des
europäischen archäologischen Erbes durchführen. Die Hauptpartner des
in Wien angesiedelten Instituts sind die Universität Wien (A), die
Technische Universität Wien (A), die Zentralanstalt für Meteorologie
und Geodynamik (A), das Amt der Niederösterreichischen
Landesregierung (A), Airborne Technologies (A), das
Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz (D), das Schwedische Zentrale
Denkmalamt Riksantikvarieämbetet (S), das IBM VISTA Laboratorium der
Universität Birmingham (UK) und NIKU - das Norwegische Institut zur
Erforschung des Kulturerbes (N). Für das Projekt in Borre wurde mit
der Organisation Kulturarv der Vestfold Fylkeskommune
zusammengearbeitet.
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