• 09.04.2013, 18:33:00
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Wiener Zeitung: Leitartikel von Thomas Seifert: "Erb-Plutokratie Österreich?"

Ausgabe vom 10. April 2013

Utl.: Ausgabe vom 10. April 2013 =

Wien (OTS) - Schon vor der Veröffentlichung eines Forschungspapiers
der Europäischen Zentralbank schlugen die Ergebnisse der Ökonomen
hohe Wellen: Die Vermögen der Südländer seien höher als jene des
vermeintlich "reichen" Nordens. Warum also den Club-Med-Staaten
helfen, wenn diese ohnehin mehr Vermögen haben? Schon in der
Zusammenfassung gibt es freilich die Antwort auf dieses scheinbare
Paradoxon der "reichen" Schuldenstaaten. 60,1 Prozent der Haushalte
der Eurozone sind Besitzer ihrer Wohnung oder ihres Hauses. Während
Haus- und Wohnungsbesitz in vielen europäischen Staaten den größten
Teil des Vermögens ausmacht, dominieren in Österreich und Deutschland
"Miet-Haushalte", wie es im Bericht heißt. Die Vermögen in Österreich
und Deutschland sind vergleichsweise "flüssiger" - also Geldvermögen.

Die süffige Geschichte vom "reichen Süden" und "armen" Norden ist
plötzlich viel weniger sexy.

Neben dem Europa-Vergleich der Vermögensverhältnisse ist es überaus
spannend, sich die Vermögensverteilung der österreichischen Haushalte
anzusehen. Das Ergebnis: Österreich ist kein Land der harmonischen
Egalität. Während das unterste Dezil (die ärmsten 10 Prozent) weniger
als 1000 Euro besitzen, hält das reichste Dezil (die reichsten 10
Prozent) Vermögen von mehr als 542.000 Euro. Der Ginikoeffizient, mit
dem Ökonomen Ungleichheit messen, liegt für Nettovermögen bei 0,76
(ein Wert von null würde völlige Gleichverteilung bedeuten, ein Wert
von eins bedeutet maximale Ungleichverteilung - einer hat alles, die
anderen nichts). 0,76 ist also ein relativ hoher Wert.

Diese Tatsache der relativen Ungleichverteilung von Vermögen sollte
Konsequenzen haben: Aufgrund der hohen Steuern und Abgaben auf
Arbeitseinkommen ist es für Normalverdiener so gut wie unmöglich, in
diesem Land Millionär zu werden. Austro-Dagobert-Ducks hingegen
dürfen sich freuen: Aufgrund der vermögensfreundlichen
Stiftungsmodelle und der im internationalen Vergleich außerordentlich
niedrigen Steuern auf Vermögen sowie der Abschaffung der
Erbschaftssteuer ist es hingegen ein Leichtes, Millionär zu bleiben.
Eine solidarische Hochleistungsgesellschaft sieht anders aus. Arm und
Reich driften auseinander, es besteht die Gefahr einer
Erb-Plutokratie, wie der Harvard-Philosoph Michael J. Sandel im
Interview mit der "Wiener Zeitung" warnt.

www.wienerzeitung.at/leitartikel

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