• 29.12.2012, 19:57:12
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Das Neue am Horizont" (Von Thomas Götz)

Ausgabe vom 30.12.2012

Utl.: Ausgabe vom 30.12.2012 =

Graz (OTS) - Vielleicht wird 2012 als Wendejahr in die
innenpolitische Zeitrechnung eingehen, vergleichbar den frühen
neunziger Jahren in Italien. Dort galt damals der Spruch, man hält
sich die Nase zu und wählt Democrazia Cristiana, die staatstragende
Partei seit dem Zweiten Weltkrieg. Es galt zu verhindern, dass die
Kommunistische Partei zur stärksten Kraft wird. Der unmögliche
Machtwechsel zerstörte die Christdemokraten und fast auch die
Demokratie Italiens.
Was der Untersuchungsausschuss des Österreichischen Parlaments ans
Licht brachte, was in den Prozessen gegen Ernst Srasser und Alfred
Mensdorff-Pouilly zutage tritt, was in Salzburg passierte oder in
Kärnten, ist gewiss nicht vergleichbar mit der Verrottung, die
Italiens Demokratie damals an den Rand des Zerfalls brachte. Die
Enttäuschung aber geht ähnlich tief.
Das kommende Jahr könnte daher den Verlust liebgewonnener
Gewohnheiten mit sich bringen. Wenn die "Großparteien" nicht mehr
groß genug sind, ohne die Hilfe Dritter zu regieren, geht ein halbes
Jahrhundert österreichischer Politikgeschichte zu Ende. Das ersehnte
Neue zeichnet sich noch nicht ab.
Fest steht nur, dass Politik dadurch nicht einfacher werden wird,
sondern komplizierter. Das ist paradox. Die einst
verfassungsgestaltende Mehrheit von Rot und Schwarz schmilzt ja
nicht, weil den Leuten zu rabiat reformiert würde, sondern weil diese
überstrapazierte Koalitionsvariante ein Gefühl der Erstarrung
vermittelt, der leeren Ritualisierung von Politik.
Was immer dem vertrauten Duopol folgt, es wird noch langsamer und
träger funktionieren. Mehrheiten zu organisieren mit drei
Regierungsparteien, die einander misstrauisch in Schach halten, wird
die künftigen Koalitionskoordinatoren Tag und Nacht auf Trab halten.
Und es ist nicht gesagt, dass dann Kompromisse zu finden sein werden.
Der Satz vom Nasezuhalten und Weiterwählen wie immer ist trotzdem
falsch, wie er auch in Italien falsch war. Er führt Demokratie ad
absurdum. Er nimmt Wahlen ihre Gestaltungskraft und neutralisiert das
Erneuerungspotenzial, das in ihnen steckt.
Was sich Wähler wünschen, ist nicht schwer zu erraten. Klare,
verständliche Worte zu den Dingen des öffentlichen Lebens,
anständiges, vertrauenswürdiges Personal, neue Formen, zu
Kompromissen zu kommen. Wähler wollen nicht alles selber entscheiden,
aber ernst genommen werden von denen, die sie vertreten.
Was bisher zu sehen ist, erinnert eher an die Angststarre beim
Mikadospiel: Wer sich zuerst bewegt, verliert, ist dort die Regel. In
der Politik könnte es umgekehrt sein.****

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