- 17.12.2012, 18:30:43
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"Die Presse"-Leitartikel: Grundsätzlich sind wir bereit. Aber was ist mit euch?, von Almuth Spiegler
Ausgabe vom 18. Dezember 2012
Utl.: Ausgabe vom 18. Dezember 2012 =
Wien (OTS) - Frauen wollen eine gewisse Sicherheit, wenn sie sich
für ein Kind entscheiden. Männer wollen die Sicherheit, nicht vor dem
Ruin zu stehen, falls die Scheidung folgt.
Was wurden wir Frauen schon befragt, untersucht und erforscht: Was
ist nur los mit uns? Warum will die durchschnittliche österreichische
Akademikerin sich nicht anständig vermehren? Früher und freudiger? Es
folgen seltsame Kommazahlen (1,4 Kinder pro Frau) und die üblichen
Argumente: Kinder sind Karrierestopper, es fehlt an ganztägiger
Kinderbetreuung und die Babybetreuung wird immer noch verteufelt. Wer
läuft schon gern sehenden Auges ins Rabenmuttermesser? Ab 28,5 Jahren
(Durchschnittsalter Erstgeburt) wird frau auf diesem Auge allerdings
anscheinend blind. Laut Statistik.
Das durchschnittliche Gebäralter gut ausgebildeter Frauen muss jedoch
um einiges höher liegen. Ab Mitte 30 beginnt die Uhr zu ticken, wird
der Druck größer. Und - dazu braucht es keine Studien aus
Deutschland, um das zu erkennen - es sind oft nicht die Angst um die
Karriere und der fehlende Betreuungsplatz, der zu diesem Zeitpunkt
die Entscheidung für oder gegen Kinder beeinflusst.
Einerseits gibt es genug Role Models, die zeigen, dass ab einer
gewissen Stellung die Karriere auch mit Kindern (und Kindermädchen)
bestens funktioniert (in diesen Ebenen spielen Geld und Platz oft
keine Rolle mehr). Andererseits beginnt für viele topausgebildete
Frauen in diesem Alter auch die Erkenntnis - hoppla, die gläserne
Decke, es gibt sie doch. Lief bislang mit den männlichen Kollegen
noch alles nahezu parallel ab, die Überstunden, die Gehälter, die
Beförderungen, beginnt es jetzt manchmal etwas undurchsichtig zu
werden. Männer spielen ab einer gewissen Machtebene lieber mit
Männern.
Dazu braucht man weder besonders feministisch zu sein noch
Untersuchungen wie die des deutschen Bundesamts für Statistik, die
datenmäßig belegt, dass die Aussichten düster sind: Die
Gehaltsunterschiede nehmen zu, je höher die Position, im Durchschnitt
verdienen Frauen dann 30 Prozent weniger als Männer. Wer will das
ertragen und dafür auch noch auf eigenen Nachwuchs verzichten?
Motivation ist das keine. Lebensaussicht auch nicht. Also Kinder - so
banal kann diese Entscheidung für den fiktiven "richtigen Zeitpunkt"
manchmal sein.
Es beginnt die Realität, das "Erwachsenenleben". Die Männer gehen
vielleicht zwei Monate in Karenz, die Frauen länger und in die
Teilzeit. Die übliche Vorwurfskultur wird entwickelt: Die
Karrierefrau ist intellektuell unterfordert, körperlich erschöpft,
frustriert. Der Mann wiederum hat wenig Wahl, er muss Geld
herbeikarren, wickeln, in der Nacht aufstehen, die Frau beruhigen,
die nun jemand anderen mehr liebt als ihn, das Kind.
Wer will das schon? Welcher Mann will das schon? Welcher gut
ausgebildete, in den besten Jahren stehende, ehrgeizige Mann? Das ist
nicht nur ein Punkt. Sondern für viele gut ausgebildete Frauen Mitte
30 ist es der Punkt. Es sind nicht (nur) fehlende Betreuungsplätze,
die sie gegen Kinder entscheiden lassen. Es ist der fehlende
emotionale Betreuungsplatz für sie selbst, der Partner. Immer wird
gefragt: Warum wollen Frauen keine Mütter mehr sein? Nie wird
gefragt: Warum wollen Männer keine Väter sein? Warum zieren sie sich
immer länger bei Gesten der Verbindlichkeit, warum zögern sie, offen
über Familienplanung zu sprechen, schieben Entscheidungen oft
biologisch untragbar weit hinaus?
Immer mehr langjährige Partnerschaften zerbrechen an diesem Zagen.
Männer haben Zeit. Frauen nicht. Frauen wollen eine gewisse
Sicherheit, wenn sie sich für ein Kind entscheiden. Männer wollen die
Sicherheit, nicht vor dem finanziellen und sozialen Ruin zu stehen,
falls die Scheidung folgt. Die Kinder nicht mehr sehen zu können, das
Gehalt teilen zu müssen, die Wohnung, das Haus zu verlieren.
Das ist kein Plädoyer für mehr Männerrechte. Sondern für eine
Entdramatisierung der Lage. Wenn es nicht gelingt, den Männern
(früher) die Angst vor der Vaterrolle zu nehmen, den Druck, und zwar
rechtlich, gesellschaftlich, beruflich, wird sich demagogisch nicht
viel ändern. In nordischen Ländern erahnt man die positiven
Auswirkungen von mehr Gleichstellung, nämlich in beide Richtungen.
Doch zuvor muss man, müssen die Männer endlich aufhören, wie manisch
uns danach zu fragen: Was ist los mit euch Frauen? Gar nichts.
Grundsätzlich sind wir bereit. Aber was ist mit euch?
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