- 10.10.2012, 17:10:43
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"Die Presse" Leitartikel: Auf Zehenspitzen durch vermintes Gebiet, von Oliver Pink
Ausgabe vom 11.10.2012
Utl.: Ausgabe vom 11.10.2012=
Wien (OTS/Die Presse) - Ein Thema, viele Wahrheiten: Ja, Väter wurden
bisher benachteiligt. Ja, etliche haben sich unzulässig
radikalisiert. Und ja, die gemeinsame Obsorge ist ein Ausweg.
Am vergangenen Samstag demonstrierten in Wien nicht nur die
Kindergartenpädagoginnen. Auch Väterrechtsaktivisten zogen an diesem
Tag durch die Innenstadt, um auf ihre Benachteiligung durch Justiz
und Politik aufmerksam zu machen. "Nur vier Stunden Besuchsrecht in
der Woche!", stand auf einem Schild, "Familienzerstörungsministerin
Heinisch-Hosek" auf einem anderen. Auffallend war die relativ hohe
Zahl an Frauen, die an diesem Demo-Zug über den Wiener Graben
teilnahmen, möglicherweise waren es die Lebensgefährtinnen, Mütter
oder Schwestern der betroffenen Männer.
In der Vergangenheit haftete den Väterrechte-Organisationen nicht
selten etwas Obskures an - durch die Radikalität etlicher Proponenten
und deren Angriffe auf die Justiz im Allgemeinen und bestimmte
Familienrichter im Besonderen, durchaus selbst verschuldet. Und als
sich dann auch noch die Freiheitliche Partei ihrer Anliegen
federführend annahm, liefen die Interessenvertreter der Väter Gefahr,
aus dem finsteren rechten Eck gar nicht mehr herauszukommen.
Das Familienrecht ist ein heikles Terrain, auf dem Recht und
Gerechtigkeit in der subjektiven Wahrnehmung vieler Betroffener noch
weiter auseinanderklaffen als in anderen Bereichen. Die
Benachteiligung der Väter durch die Institutionen sei sogar eines der
letzten Tabus in unserer Gesellschaft, war zuletzt mitunter zu lesen.
Und es stimmt schon: Bisher war es (meist) so, wie es immer war. Die
Mutter bekommt das Kind zugesprochen, die Obsorge noch dazu - und hat
damit auch ein Druckmittel in der Hand, wann und wie der von ihr
getrennt lebende Kindesvater den Sohn und/oder die Tochter zu sehen
bekommt. Freilich gibt es für diese Besuchszeiten auch gerichtliche
Vorgaben, nur im Alltag werden diese dann oft nicht immer so ganz
genau eingehalten.
Die Folgen sind Frustration und Wut aufseiten der Väter (und ihrer
Angehörigen). Eine für viele von ihnen ungewohnte Schwäche und
Ohnmacht. Und manche greifen - wie jüngst im Fall Oliver - dann auch
zur Selbstjustiz.
Aber auch für die Justiz und ihre Organe gehört es zu den
schwierigsten Aufgaben, bei solchen Familiendramen Recht zu sprechen.
Und dass automatisch beziehungsweise im Zweifel immer der Mutter
recht gegeben wird, diese Praxis ist durch den Umstand, dass sich
seit geraumer Zeit auch viele Väter immer stärker in die Erziehung
ihrer Kinder einbringen, aufgeweicht.
Und so vollzieht die Republik Österreich nun nach, was anderswo
bereits State of the Art ist: das Anrecht lediger Väter, die Obsorge
für ihr Kind beantragen zu können - auch gegen den Willen der Mutter.
So sieht dies auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte vor. Die rot-schwarze Einigung erfolgt zudem unter dem
Druck, dass ab Februar 2013 ein Rechtszustand eingetreten wäre, bei
dem Väter, auch solche, die sich nie um die Kinder gekümmert haben,
automatisch das Sorgerecht erhalten hätten.
Darüber hinaus haben sich die Verhandlerinnen von SPÖ,
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, und ÖVP, Justizministerin
Beatrix Karl, darauf verständigt, dass nach einer Scheidung Mutter
und Vater die gemeinsame Obsorge für ihr Kind erhalten können. Und
zwar auch bei einer Trennung im Streit. Bisher war das nur im
Einvernehmen möglich.
Der Richter kann sich dabei jedoch eine mindestens halbjährige
Testphase vorbehalten. Wie dieser auch weiterhin die
Hauptverantwortung trägt und von Fall zu Fall entscheiden muss. Einen
Automatismus, wonach der Vater nach der Scheidung einfach so das
Sorgerecht bekommt, wird es nicht geben.
Die Intention des Gesetzgebers ist es, das Wohl des Kindes noch
stärker in den Mittelpunkt zu rücken und diesem einen verlässlichen
Kontakt zu beiden Elternteilen zu ermöglichen. Über dessen Einhaltung
künftig sogenannte "Besuchsmittler" wachen sollen.
Damit bekommen also auch die Väter mehr Rechte. Das ist gut so. Im
Gegenzug sollten viele Väter aber auch ihre Pflichten ernster nehmen.
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