- 05.10.2012, 19:58:07
- /
- OTS0281 OTW0281
Berlin muss es endlich lernen / Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Berlin (ots) - Und wieder die Bayern und die Berliner! Die im Süden
einmal mehr ganz oben, wir im Osten ganz unten. Nicht um Fußball,
viel schlimmer - um die Bildung unserer Jüngsten geht es. Die
Bildungsforscher stellen Berlins Grundschülern im Vergleich aller 16
Bundesländer schon wieder ein ganz schlechtes Zeugnis aus. Die ganze
Reformflut der vergangenen Jahre ist vergebens. Vermutlich hat sie
sogar zur Misere beigetragen.
Ausreden der verantwortlichen Bildungspolitiker zählen nicht länger.
Natürlich haben die Stadtstaaten - neben Berlin auch Hamburg und
Bremen - einen besonders hohen Anteil an Schülern mit
Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Bevölkerungskreisen.
Aber das gilt beispielsweise auch für Hessen. Dort haben 30 Prozent
der Schüler ausländische Wurzeln. Durch vielfältige
Sprachfördermaßnahmen ist es immerhin gelungen, das Land im neuen
Grundschulranking auf einen mittleren Platz zu befördern. Das beweist
einmal mehr, wo der entscheidende Schlüssel zur Bildung und damit für
die Perspektiven im weiteren Leben liegt: In der frühkindlichen
Sprachförderung. Die dürfen in Berlin nicht länger nur in
Sonntagsreden beschworen werden. Es muss endlich gehandelt und mehr
konkret getan werden. Die Probleme sind nicht erst seit Heinz
Buschkowskys Neuköllner Wutbuch bekannt. Seit Jahren weiß die
Schulbehörde, dass rund zehn Prozent aller Berliner Schüler und etwa
zwanzig Prozent mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss
verlassen. Ein Alarmsignal, das ganz entscheidend auch durch
mangelnde Sprachkompetenz ausgelöst wird. Sprache, Sprache und noch
mal Sprache - sie muss viel stärker als bislang gefördert werden,
wenn die Eltern selbst dazu nicht fähig oder willens sind. Denn ohne
Beherrschen der deutschen Sprache fällt auch das Lesen, Rechnen,
Zuhören und Verstehen schwer.
Was man in vielen Berliner Kitas sieht und aus Schulen hört, belegt,
dass in dieser Stadt das längst Überfällige noch immer nicht getan
wird, dass zwischen Wollen und Tun der Abgrund klafft. Zu große
Gruppen und Klassen, zu wenig Personal, um gezielt Sprachdefizite
aufzuholen, zu viel ältere, resignierte Lehrerinnen und Lehrer. Die
Autoren der Studie nähren zudem die Zweifel, dass sich das im
Bundesvergleich früheste Berliner Einschulungsalter nicht gerade
positiv auswirkt. Dasselbe gilt für das jahrgangübergreifende Lernen.
Angesichts der sozialen Strukturen in vielen Berliner Stadtteilen ist
schwerlich zu erwarten, dass solche Reformen denen zugutekommen, die
es besonders nötig haben. Bekräftigt wird zudem eine längst zur
Binsenwahrheit gewordene Erkenntnis: je niedriger die soziale
Herkunft, desto geringer die Kompetenzen. Dieser bildungspolitische
Teufelskreis muss durchbrochen werden. Das wird nur mit mehr und
besonders geschultem Personal gelingen. Nur unter dieser
Voraussetzung übrigens hat auch das Reformprojekt Integrierte
Sekundarschule eine Chance.
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | EUN