• 13.09.2012, 21:00:34
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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 14. September 2012. Von FLOO WEißMANN. "Die Stunde der Provokateure"

Innsbruck (OTS) - Untertitel: In der arabischen Welt wogt ein
Tauziehen um die Ausrichtung der Gesellschaften zwischen liberalen
Prinzipien und religiös motivierten Forderungen. Islamisten kommt die
Wut über das islamkritische Video zumindest gelegen.

Man muss keinen Verschwörungstheorien anhängen, um angesichts der
Angriffe auf US-Einrichtungen in arabischen Ländern die Stirn zu
runzeln. Was da als spontaner Volkszorn über ein islamkritisches
Video ausgegeben wird, dürfte von gewaltbereiten Islamisten
angezettelt worden sein - möglicherweise mit Verbindung zu Al-Kaida.
Dafür sprechen beispielsweise der 11. September als Beginn, die
Sprechchöre der "Demonstranten" für einen kürzlich von den USA
getöteten Al-Kaida-Führer und die Brutalität des Vorgehens.
Schon nach den Massenprotesten gegen die Mohammed-Karikaturen vor
sieben Jahren wurde klar, dass verschiedene Gruppen die Empörung
geschürt und für ihre Zwecke instrumentalisiert hatten. Der angeblich
gottlose Westen, der den Islam beleidigen und kolonisieren wolle,
diente gleichsam als Kulisse für innenpolitische Machtkämpfe.
Auch der aktuelle Aufruhr dürfte radikalen Gruppen zumindest gelegen
kommen. Die Islamisten hatten den arabischen Frühling zunächst
verschlafen. Auslöser der Revolution in Tunesien, Ägypten und
anderswo waren junge Menschen aus der urbanen Mittelschicht; sie
forderten u.a. bürgerliche Freiheiten, wirtschaftliche Chancen und
politische Teilhabe. Doch inzwischen haben islamisch orientierte
Gruppen - von Moderaten bis Radikalen - dank ihrer besseren
Organisation und breiteren Basis von der Revolution profitiert. Jetzt
wogt ein Tauziehen um die Ausrichtung der arabischen Gesellschaften
zwischen liberalen Prinzipien und religiös motivierten Forderungen,
und auch gewaltbereite Islamisten wittern eine neue Gelegenheit.
Dass die US-Regierung mit dem Video nichts zu tun, ja dieses sogar
verurteilt hat, tut der Sache der islamistischen Provokateure keinen
Abbruch. Dabei genießt der Respekt vor religiösen Überzeugungen
gerade in Amerika viel höheren Stellenwert als etwa im
vergleichsweise säkularen Europa. In den USA wird aber auch die
Meinungsfreiheit fast absolut ausgelegt, und das nützt den
anti-islamischen Provokateuren wie den mysteriösen Produzenten des
Videos oder dem bizarren Pastor Terry Jones mit seinen
Koranverbrennungs-Phantasien.
Die Extremisten beider Seiten brauchen einander zur Rechtfertigung
und Mobilisierung, und sie haben mit Hilfe des Videos eine sehr
brisante Lage geschaffen. Der Umbruch in der arabischen Welt und der
amerikanische Wahlkampf machen es noch schwieriger als sonst, die
Provokateure in die Schranken zu weisen. Es steht deshalb zu
befürchten, dass ihre Saat zumindest noch für eine Weile aufgehen
wird.

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