• 08.08.2012, 12:07:01
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  • OTS0085 OTW0085

"Erstatten Österreichs Gerichtssachverständige Gefälligkeitsgutachten zu Fantasiepreisen?"

Stellungnahme des Präsidenten des Hauptverbandes

Wien (OTS) - Die Ermittlungen der Justiz rund um den Verkauf der
Hypo Alpe Adria haben auch eine Diskussion über die Qualität und
Honorierung der vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft
bestellten oder auch im privaten Auftrag tätigen Gutachterinnen und
Gutachter entfacht. In der Medienberichterstattung ist von 30- oder
gar 39-facher Überhöhung des bezahlten Honorars und auch davon die
Rede, dass Gutachter generell zu Ergebnissen kommen, die ihre
Auftraggeber wünschen. Oft müssten ausländische, namentlich deutsche,
Sachverständige beigezogen werden, um eine sachgerechte Beurteilung
zu erhalten.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Berichterstattung
auf ein laufendes Gerichtsverfahren bezieht und dass der Hauptverband
der Gerichtssachverständigen zu solchen Verfahren aus grundsätzlichen
Erwägungen keine Stellungnahme abgibt.

Aber:

Die Berichterstattung beschränkt sich hier nicht nur auf die
handelnden Personen, sondern bezieht auch in generalisierender
Betrachtung eine ganze Personengruppe ("die Sachverständigen") und
damit fast zehntausend Menschen mit ein, denen damit dieselben
Vorwürfe gemacht werden und die damit ohne jede sachliche
Rechtfertigung Ziel eines kollektiven Schuldvorwurfs werden.
Natürlich ist es legitim, die Sachkunde, Objektivität,
Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Sachverständigen, aber auch
ihre Honorierung öffentlich zu diskutieren. Einem solchen
Diskussionsprozess wird sich der Hauptverband der
Gerichtssachverständigen, der ja die Verwirklichung der genannten
Grundsätze in seinen Standesregeln ohne Wenn und Aber fordert und dem
die materielle Absicherung seiner Mitglieder selbstverständlich ein
einleuchtendes Anliegen ist, nie verschließen.
Mit aller Deutlichkeit ist aber jede Verallgemeinerung
zurückzuweisen, die in Richtung des oben bewusst provokant gewählten
Titels geht.

In Österreich werden allein im Bereich der Justiz pro Jahr etwa
150.000 Aufträge zur Erstellung von behördlichen Gutachten
("Gerichtsgutachten") erstellt. In fast allen Fällen können die
Gerichte und Staatsanwaltschaften die Ergebnisse der dadurch
ausgelösten Gutachtertätigkeit übernehmen. Haftungsfälle sind wie bei
jeder anspruchsvollen Tätigkeit, die von Menschen ausgeübt wird, nie
ganz vermeidbar, sind aber - auch im Vergleich mit anderen
Dienstleistungsbereichen - überaus selten. Der Vorwurf mangelnder
Sachkunde, Objektivität, Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wird
zwar von Verfahrensbeteiligten immer wieder erhoben, stellt sich aber
- nicht ganz unerwartet - sehr häufig als taktisches Manöver heraus.
Zwar trifft es zu, dass in heiklen Fällen auch ausländische
Sachverständige herangezogen werden, um den Vorwurf mangelnder
Distanz erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dies unterstreicht zwar
das Bemühen der öffentlichen Auftraggeber um größtmögliche
Sachlichkeit, lässt aber noch keinen Schluss darauf zu, dass
österreichische Sachverständige im konkreten Fall nicht objektiv
wären oder eine gegebene Befangenheit nicht offen legen würden, wie
dies ja nach den Standesregeln ihre Pflicht ist.

Und Privatgutachter? Nach den Standesregeln haben auch
Sachverständige, die ein Privatgutachten erstatten, die
Grundprinzipien der Objektivität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
einzuhalten. Abgesehen von Einzelfällen, die bei der großen Zahl
solcher Gutachten, die jene von Gerichtsgutachten weit übersteigt,
nie völlig auszuschließen sind, gibt es keine Anzeichen dafür, dass
diesen Prinzipien nicht entsprochen würde. Auch die Behauptung der
Erstattung eines "Gefälligkeitsgutachtens" gehört leider zum
Repertoire naturgemäß einseitiger Parteienvertretung im Prozess, hält
aber nur selten einer Überprüfung durch die Gerichte stand. Und noch
etwas: Privatgutachten werden nicht über behördlichen Auftrag,
sondern im Auftrag von "Privaten" ohne jede behördliche Kontrolle
erstellt. Die Ergebnisse solcher Gutachten sind notwendigerweise
davon abhängig, welcher konkrete Auftrag erteilt wird und vor allem,
welche Informationen für das Gutachten zur Verfügung gestellt werden.
Divergenzen zu Gerichtsgutachten sind oft die Folge von Abweichungen
in diesen Bereichen.

Schließlich das Honorar. Ohne jeden Bezug zu dem oben erwähnten
Gerichtsverfahren sei hier der Hinweis erlaubt, dass nach den
Standesregeln das für ein Privatgutachten vereinbarte Honorar nicht
in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der zu erbringenden
Leistung stehen darf. Dass es im Übrigen frei vereinbart werden kann,
ist Ausfluss der unserer Rechtsordnung immanenten Vertragsfreiheit.

Bei Gerichtsgutachten oder im Auftrag der Staatsanwaltschaft
erstellten Gutachten geht das hier maßgebliche
Gebührenanspruchsgesetz selbst von Stundensätzen bis maximal 150 EUR
(netto) aus, wobei die Obergrenze nur bei hoher Qualifikation,
besonderer Schwierigkeit des Gutachtens und sehr ausführlicher
Begründung erreicht werden kann. Mehr bekommt, wer auf dem freien
Markt mehr verdient und dies dem Gericht auch nachweist. Anders wären
Expertinnen und Experten der gewünschten hohen Qualifikation nicht zu
bekommen. In manchen Bereichen gibt es davon abweichend aber auch
völlig unzureichende Honorare: Seit 50 Jahren bestehende Tarife
bilIigen etwa einer Fachärztin für Psychiatrie für ein viele Stunden
hochqualifizierte Arbeit erforderndes Gutachten über die Möglichkeit
der Entlassung einer psychisch kranken Person aus einer Anstalt einen
Pauschalbetrag von EUR 195,40 zu!

Fazit: Die österreichischen Gerichtssachverständigen genießen
einen sehr guten Ruf und hohes Ansehen. Ich meine, dass sie diesem
Ruf trotz der in Einzelfällen mitunter auch berechtigten Vorwürfe
gerecht werden. Der Hauptverband der Gerichtssachverständigen als
ihre Vertretung wird sich berechtigter Kritik im wohl verstandenen
Interesse seiner korrekt, sorgfältig, objektiv und unabhängig
handelnden Mitglieder nie verschließen. Der kollektiven Herabsetzung
eines ganzen Standes müssen wir aber energisch widersprechen.

Rückfragehinweis:

VProf DI Dr Matthias Rant
   Präsident des Hauptverbandes der allgemein beeideten
   und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs
   (Hauptverband der Gerichtssachverständigen)
   1010 Wien, Doblhoffgasse 3/5
   Tel.: 01 405 45 46
   Fax: 01 406 11 56
   E-Mail: hauptverband@gerichts-sv.org
   Web: www.gerichts-sv.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NEF

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