• 15.06.2012, 17:00:32
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"KURIER"-Kommentar von Helmut Brandstätter: "Der nervöse Blick nach Athen überlagert alles"

Die Wahl eines 10-Millionen- Volkes macht Angst, in Europa und weltweit.

Wien (OTS) - So nervös waren Regierungschefs, Notenbanker, Anleger
und Spekulanten schon lange nicht. Sonntagabend werden sie ohne Pause
telefonieren. Die einen, um einen Zusammenbruch der europäischen
Wirtschaft zu verhindern, die anderen, um aus der zugespitzten Krise
noch Profit zu schlagen. Das kleine Volk der Griechen hält alle in
Atem, weit über Europa hinaus.
Auch die österreichische Innenpolitik steht im Zeichen der
Schuldenkrise, freilich lugt bei uns schon der nahende Wahlkampf
hinter jeder Aktion hervor. Da kann der FPÖ-Pressedienst schon mal
die Buchstaben durcheinanderkriegen, und den ESM, den Europäischen
Stabilitätsmechanismus als EMS bezeichnen. Wichtig ist nur, dass
Parteichef Strache mit markigen Worten zitiert wird. Im Zweifel gegen
Europa.
Und weil schon alles nach Wahlkampf riecht, werden immer öfter
Umfragen zitiert. Aus denen kann man jedenfalls eines ablesen: Es
gibt in Österreich keine linke Mehrheit. Wer sich Hoffnungen auf
eine rot-grüne Regierung macht, war schlecht in der Schule. Mehr als
rund 42 bis 44 Prozent würden die beiden Parteien im Moment nicht
erreichen.
Es gibt also keine linke Mehrheit im Land, eine Mehrheit von
sozialdemokratisch geprägten Parteien, die dem Staat mehr vertrauen
als dem Einzelnen, gibt es aber schon. Denn auch breite Teile der ÖVP
fühlen sich wohl, wenn Obrigkeiten in Form von Bund, Ländern oder
Kammern den Bürgern Geld wegnehmen, es ein paar Mal umdreht, um dann
deutlich weniger den Menschen zurückzugeben. Seit den Habsburgern
glauben die Österreicher an das Gute in der obrigkeitlichen
Verwaltung, eine jahrhundertelange Prägung. Dass man auf die da Oben
kräftig schimpfen kann, erhöht noch die Lust am Dasein als Untertan.
Revolutionen waren bei uns immer nur am Stammtisch erfolgreich.
Also diskutieren wir heftig über mehr Bürgerbeteiligung, aber am
Bürger vorbei. Zwei Volksbegehren, die den Menschen die Möglichkeit
zur aktiven Teilnahme am politischen Geschehen gaben, brachten den
Betreibern wenig Freude. Angeblich ist die Mehrheit der Österreicher
für Vermögenssteuern und mehr Demokratie, aber der Weg zum Magistrat
ist dann doch sehr weit.
Die Grünen, früher eine Bürgerbewegung, versuchen sich vorerst
als Regierungspartei. Im Parlament arbeiten sie verbal sehr deutlich,
in der Sache aber konstruktiv mit den Regierungsparteien zusammen.
Die Gesetze zur Parteienfinanzierung haben sie stark mitgestaltet, in
Sachen Euro sind sie für europäische Lösungen.
Man wird sehen, ob die Wähler das honorieren. Sollte am Montag
Griechenland nicht mehr am Abgrund, sondern schon einen Schritt
weiter stehen, dann können wir innenpolitische Spekulationen vorerst
einmal vergessen. Dann sind alle aufeinander angewiesen, es wird
keine nationalen Lösungen geben.

Rückfragehinweis:
KURIER, Chefredaktion
Tel.: (01) 52 100/2601

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