"Kleine Zeitung" Kommentar: "Bürgerliches Trauerspiel" (von Hubert Patterer)
Ausgabe vom 25.03.2012
Graz (OTS) - An der ÖVP erfüllt sich gerade Murphys Gesetz:
Was schiefgehen kann, geht schief. Da ist die Krise der Justiz, die die Justizministerin überwinden wollte und deren Teil sie jetzt ist. Da ist der träge Schatten der schwarz-blauen Jahre. Deren Aufbruchsgeist offenbarte sich als Aufbruch zu den Trögen, die strategische Direktive "Mehr privat" als Einladung zum Eigennutz.
Zur Hypothek der Vergangenheit kommen die Verwerfungen der Gegenwart. ÖVP-Obmann Michael Spindelegger muss keinen Knigge in Auftrag geben, wenn er nicht einmal in der Lage ist, hygienischen Minimalismus durchzusetzen. Jetzt mag die Summe, um die es in der Causa Amon geht, verglichen mit den Inseraten-Geschäften der SPÖ, eine Petitesse sein, nur: Man hat sein Amt als Wahrheitsforscher in einem U-Ausschuss ruhend zu stellen, wenn man als selbst Verstrickter nicht imstande ist, eine verdeckte Parteienförderung aufzuklären. Das Versäumnis ist ein Versagen der Parteiführung. Es dupliziert sich im Fall Martinz. Ein Politiker, der einem Steuerberater, dessen privater Kunde er ist, ein surreal hohes Millionengeschäft ermöglicht und jetzt unter Anklage steht, ist nicht nur als Regierungsmitglied untragbar, sondern selbstverständlich auch als Parteiobmann. Da benötigt man keinen Ethik-Code, da reichen Anstand und Instinkt.
Verstörend ist auch Spindeleggers Vorschlag, die Parteienförderung auf private Spenden umzustellen. Parteien als Bettelorden, Gebern und Gönnern verpflichtet und nicht dem Staat? Der Vorstoß ist ein Sinnbild für die Orientierungslosigkeit, die die Partei erfasst hat.
Die ÖVP kann sagen, was "mit uns sicher nicht geht", aber mehr als Negationsformeln ist an geistiger Standortbestimmung nicht auszumachen. Die Partei erschließt keine neuen Denkräume und ist gefangen im Kokon des eigenen, bündisch fragmentierten Unglücks, entkoppelt von der Gesellschaft und dem, was in ihr abläuft. Vielleicht sollte die ÖVP Joachim Gauck studieren, damit sie erfährt, was das sein könnte: ein moderner Konservativismus, und dass es dafür eine Sprache gibt und was für eine. Die ÖVP hat ihre Sprache verloren. Die SPÖ hat auch keine, aber sie hat die Phrase, neuerdings sogar die Europa-Phrase, ein Leih-Objekt der ÖVP. Die vermag nicht einmal mehr, ihren Markenkern zu schützen.
Dabei gäbe es draußen in reicher Zahl das, was die ÖVP transportieren will: ein zeitgemäßes bürgerliches Lebensgefühl, urban, mittelständisch, leistungsbereit, kreativ und erfolgshungrig. Im gegenwärtigen Zustand ist die ÖVP für dieses Milieu kein inspirierendes Gegenüber. Die Partei braucht keinen Knigge, sondern einen Kompass.****
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