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"Die Presse"-Leitartikel: Serbiens Chance auf Überwindung des Nationalismus, von Wolfgang Böhm
Ausgabe vom 24. Februar 2012
Wien (OTS) - Österreich hat sich mit dem Eintreten für die
Südosterweiterung auch für seine Position in der Europäischen Union
einen guten Dienst erwiesen.
Manchmal ist es erfrischend, querzudenken: Dann kann sogar die Logik
einer festgefahrenen negativen Stimmung in konstruktives Handeln
umgewandelt werden. Allein der Versuch, trotz der schweren
Haushaltskrise in Griechenland dieser Tage den EU-Beitritt eines
südosteuropäischen Landes voranzutreiben, ist mutig.
Wenn dank des Engagements der österreichischen Außenpolitik in der EU
in diesen Tagen ein Durchbruch bei der Annäherung Serbiens gelingt,
ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sollte Belgrad
den Kandidatenstatus erhalten, bedeutet das zwar noch keinen Beginn
von Beitrittsverhandlungen, aber es ist für das Land der nächste
große Schritt in Richtung Mitgliedschaft.
"Zu früh", mögen manche argumentieren. Serbien sei wirtschaftlich
noch nicht so weit. Die Statusfrage für den Kosovo sei ungelöst, und
die Union laufe Gefahr, sich ein zweites Nordzypern-Problem
einzuhandeln. Aber darum geht es in dieser Phase überhaupt nicht. Die
EU-Erweiterung muss vielmehr als das effizienteste außenpolitische
Werkzeug der Gemeinschaft gesehen werden. Es trägt dazu bei, diesen
Kontinent zu befrieden, Konflikte zu lösen und problematische
Regionen wirtschaftlich wie politisch zu öffnen. Österreichs
Regierung hat dies nach der völlig verschlafenen Osterweiterung
erkannt und dieses Werkzeug seitdem auf dem Westbalkan angewandt. Die
Begleitung des aufstrebenden Sloweniens in den EU-Binnenmarkt und die
Motivation für Kroatien, sich von seinem selbstgefälligen
Nationalismus zu lösen, wurden durch Verlockungen einer
EU-Mitgliedschaft erreicht.
Es sollte auch heimischen EU-Skeptikern zu denken geben, dass die
Europäische Union nach wie vor eine so große Anziehungskraft hat,
dass für sie korrupte Justizsysteme, im Argen liegende
Sicherheitsapparate und protektionistische Wirtschaftssysteme
aufgebrochen werden. Auch Serbien hat zuletzt mehrfach signalisiert,
dass es zu all dem bereit ist.
Es ist deshalb gut und richtig, dem Land die nächste Tür in Richtung
EU-Mitgliedschaft zu öffnen. Natürlich darf das nicht darüber
hinwegtäuschen, wie viele Reformen noch notwendig sind. Die
organisierte Kriminalität muss konsequent bekämpft werden. Es besteht
auch kein Zweifel daran, dass die Zukunft des Kosovo vor einer
Mitgliedschaft Serbiens gelöst werden muss. Das Land erhält mit dem
Kandidatenstatus nicht mehr und nicht weniger als die Chance, seinen
gefährlichen Nationalismus zu überwinden.
So nachvollziehbar die nationale Rückbesinnung von Ländern wie
Kroatien oder Serbien nach dem Zerfall Jugoslawiens war, sie war
letztlich die Triebfeder des größten ethnischen Konflikts in Europa
nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der offenen Tür in die EU erhält in
Südosteuropa ein Land nach dem anderen die Chance, diesen blutigen,
destruktiven Teil seiner Geschichte hinter sich zu lassen. Es ist ein
schwerer Weg, auch für Serbien. Denn die Wunden und Verbrechen des
Kosovo-Kriegs von 1989 und 1999 sind auf allen Seiten weder verheilt
noch vergessen. Außerdem wird es kaum gelingen, die nach wie vor
vorhandenen Spannungen zwischen der mehrheitlich albanischen
Bevölkerung des Kosovo und der serbischen Minderheit aufzulösen, ohne
auch der ehemaligen serbischen Provinz eine Perspektive auf Beitritt
in die EU als unabhängiger Staat zu geben.
Erfreulich ist jedenfalls, dass Österreich gemeinsam mit Frankreich
und Italien mit seinem Eintreten für eine EU-Annäherung Serbiens eine
aktive außenpolitische Rolle übernommen hat. Es mag eine Politik
sein, mit der Außenminister Michael Spindelegger bei der eigenen
Bevölkerung derzeit wenig punktet, weil positiv-konstruktive
Nachrichten zur Europäischen Union selbst in manchen bürgerlichen
Kreisen nur noch als emotionale Provokation wahrgenommen werden.
Dieses Engagement stärkt Österreich jedenfalls in anderen
europapolitischen Fragen den Rücken. Es zeigt, dass sich unser Land
an der Befriedung des Kontinents beteiligt. Und es belegt letztlich
auch, dass die Zukunft Europas nicht in der Rückbesinnung auf einen
engstirnigen Nationalismus, sondern in der weiteren Zusammenarbeit
liegt.
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