Gerichtsschließungen: Rechtsanwaltskammer NÖ fordert Erweiterung der Kompetenzen der Anwälte
Wien / St. Pölten (OTS) - RAK NÖ-Präsident Dr. Michael Schwarz warnt vor massiven negativen Auswirkungen durch die Schließung einer Vielzahl von Bezirksgerichten: "Es geht nicht nur um mehr zeitlichen und finanziellen Aufwand für die Bürger. Es droht eine Ausdünnung der Rechtsinfrastruktur in den ländlichen Regionen Niederösterreichs und auch Arbeitsplätze sind durch die Abwanderung von Rechtsanwaltskanzleien bedroht. Dem muss gegengesteuert werden."
Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich fordert daher vom Justizministerium Sofortmaßnahmen, um die bei Gerichtsschließungen absehbaren strukturellen Defizite abzufedern: "In Zukunft müssen auch Rechtsanwälte Beglaubigungen von Kopien oder Unterschriften durchführen dürfen und die Berechtigung erhalten, als Gerichtskommissär tätig zu sein. Mit dieser einfachen Änderung könnte die Versorgung der Bevölkerung verbessert werden, ohne dass es für die öffentliche Hand Mehrkosten gibt", so Schwarz.
Derzeit wird - auf Basis eines Konzepts von Justizministerin Beatrix Karl - die Schließung von insgesamt 73 Bezirksgerichten in Österreich, davon 17 der 32 noch bestehenden Bezirksgerichte in Niederösterreich, breit diskutiert. Der Präsident der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich, Dr. Michael Schwarz, weist auf die Konsequenzen solcher Massenschließungen hin, die nicht nur jeden Bürger, sondern auch Rechtsanwälte und andere beratende Berufe im Einzugsgebiet der betroffenen Gerichtsstandorte treffen. Schwarz fordert daher, die gesetzlich definierten Tätigkeitsbereiche und Serviceleistungen von Rechtsanwälten auszuweiten, um so die negativen Effekte der geplanten Gerichtsschließungen für die Bevölkerung möglichst gering zu halten.
Unzumutbar lange und teure Anfahrtszeiten zu Gerichten drohen
Die Schließung eines Gerichtsstandortes würde bedeuten, dass die Bürger längere Anfahrtszeiten und auch höhere Fahrtkosten in Kauf nehmen müssen. Ein konkretes Beispiel: Bei Schließung des Bezirksgerichtes in Scheibbs müssten die Bürger aus Hollenstein/Ybbs nun in das ca. 90 km entfernte Bezirksgericht nach Melk fahren. Für die Hinfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist mit bis zu drei Stunden zu rechnen.
"Unsere Gesamt-Erhebung für Niederösterreich zeigt, dass der zeitliche Aufwand, um in das nächste Gericht zu gelangen, in vielen Regionen nicht zumutbar ist. Es müssen daher unbedingt Alternativen geschaffen werden, die es den Bürgern ermöglichen, rasch und unkompliziert zu ihrem Recht zu kommen. Die Anwälte sind jedenfalls bereit, neue Aufgaben in der Rechtspflege und im Bürgerservice zu übernehmen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden", so Schwarz.
Beglaubigungen etc. - Anwälte sind bereit, als Dienstleister einzuspringen. Qualifizierte Arbeitsplätze am Land müssen weiter gesichert werden.
Die Rechtsanwaltskammer schlägt vor, dass im Falle von großflächigen Gerichtsschließungen umgehend die Kompetenzen der Rechtsanwälte erweitert werden, um die Rechtsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Schwarz: "Die Kompetenzen der Anwälte sollten rasch erweitert werden, z. B. indem auch Anwälte die Befugnis erhalten, Beglaubigungen vorzunehmen und als Gerichtskommissäre tätig zu sein. Anwälte gibt es in fast jedem Ort und die neue Regelung würde der Bevölkerung in den ländlichen Regionen - nicht nur in Niederösterreich sondern österreichweit - sehr helfen." Das sieht auch die österreichische Bevölkerung so: Die große Mehrheit -nämlich 8 von 10 Österreichern (79%) - ist dafür, dass Beglaubigungen auch von Rechtsanwälten vorgenommen werden sollten. Das ergab die repräsentative, österreichweite Umfrage "Die Österreicher, ihre Anwälte und das Vertrauen in Gerichte, Justiz und Rechtssystem", die im Auftrag der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich von meinungsraum.at im Mai 2011 durchgeführt wurde.
Derzeit sind Anwälte rechtlich nicht befugt, Abschriften oder Unterschriften zu beglaubigen. Das ist bislang den Gerichten sowie Notaren vorbehalten. "Die Übernahme von einfachen Beglaubigungen und anderen Rechtspflege-Aufgaben durch Anwälte könnte viele Probleme verhindern und die Versorgung der Bevölkerung sogar ausbauen, ohne dass für die öffentliche Hand Mehrkosten entstehen", so Schwarz.
Ebenso die Tätigkeit als Gerichtskommissär, der im Auftrag des Gerichtes bestimmte Amtshandlungen - insbesondere in Verlassenschafts-, Pflegschafts- und Verkaufsangelegenheiten -vornehmen kann, wäre laut Schwarz für Anwälte denkbar: "Auch in diesem Fall würden sowohl die Bürger als auch Anwälte profitieren und die öffentliche Hand entlastet werden."
Zusätzlich würden die Vorschläge der Rechtsanwaltskammer auch verhindern, dass mit den Gerichtsschließungen die Existenz von dutzenden Anwaltskanzleien und qualifizierten Arbeitsplätzen in ländlichen Regionen aufs Spiel gesetzt werden. "Mit so einfachen Maßnahmen könnten allein in Niederösterreich hunderte Arbeitsplätze gesichert werden", so Schwarz.
Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ist jederzeit bereit, über die praktische Umsetzung dieser Vorschläge mit dem Justizministerium in Verhandlung zu treten.
Rechtsanwaltskammer Niederösterreich
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