- 03.11.2011, 10:14:19
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Frauenberger: "Sexualisierte Gewalt aus der Tabuzone holen"
Fachtagung in Wien will sexualisierte Gewalt wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken!
Wien (OTS) - Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor
 ein gesellschaftliches Tabuthema. Unter dem Titel "Sexualisierte
 Gewalt - Selber schuld!?" findet am 3. und 4. November in Wien eine
 Fachkonferenz statt. Organisiert wird die Fachkonferenz vom
 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien und dem Verein Wiener
 Frauenhäuser. ExpertInnen beider Einrichtungen stellten in den
 letzten Jahren ein zunehmendes Verschwinden des Themas in der
 (fach)öffentlichen Diskussion fest. Die Tagung soll dem Thema wieder
 mehr Platz in der fachlichen Auseinandersetzung und im öffentlichen
 Bewusstsein geben. Am Programm stehen Fachreferate und
 Diskussionen.****
"Wenn es um sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen geht,
 bestimmen noch immer Mythen und Fehleinschätzungen das öffentliche
 Bewusstsein", erklärt die Initiatorin der Fachkonferenz,
 Frauenstadträtin Sandra Frauenberger. Sowohl über
 Vergewaltigungsopfer und Täter als auch über das wahre Ausmaß von
 sexualisierter Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen gebe es
 viele Vorurteile, so die Stadträtin.
Beispiele für Mythen über sexualisierte Gewalt
o Aufreizende Kleidung oder aufreizendes Verhalten ist eine Einladung und rechtfertigt sexuelle Übergriffe. o Nur junge, attraktive Frauen werden vergewaltigt. o Vergewaltigungen passieren in erster Linie durch Unbekannte. o Opfer verhalten sich oft leichtsinnig und fordern einen sexuellen Übergriff heraus. o Eine Frau, die "Nein" sagt, meint dies nicht ernst, sie meint eigentlich "ja". o Eine Frau kann, rein anatomisch, nicht gegen ihren Willen vergewaltigt werden; also können nur Frauen vergewaltigt werden, die 'mitspielen'. o Oft beschuldigen Frauen Männer zu Unrecht der Vergewaltigung. Sie zeigen Männer an, um sich an ihnen zu rächen. o Männer, die eine Vergewaltigung begehen, sind krank oder sexuell ausgehungert oder aus anderen Gründen besonders triebstark.
"Solche Aussagen sind falsch und gefährlich. Sie verharmlosen
 sexuelle Gewalt und ihre Folgen und entschuldigen das Verhalten des
 Täters. Oft kommt es sogar zu einer Opfer-Täter Umkehr und dem Opfer
 wird zumindest eine Teilschuld an der Vergewaltigung zugeschrieben.
 In Strafverfahren mindern solche Mythen die Glaubwürdigkeit der
 Opfer", unterstreicht die Leiterin des 24-Stunden-Frauennotrufes
 Barbara Michalek. Solche Mythen würden es Betroffenen außerdem
 erschweren, über eine Vergewaltigung zu sprechen und diese
 anzuzeigen.
Frauenberger: "Wir alle müssen uns mit eigenen stereotypen
 Denkmustern auseinandersetzen. Sexualisierte Gewalt muss thematisiert
 und dadurch enttabuisiert werden! Und wir müssen betroffene Frauen
 ermutigen, sich Unterstützung zu holen."
Medienberichterstattung und Strafverfolgung im Focus
Im Rahmen der Fachkonferenz werden auch Medienberichterstattung
 und Strafverfolgung bei sexualisierter Gewalt kritisch beleuchtet.
 "Medien tragen eine hohe Verantwortung, wenn sie über ein so
 sensibles Thema wie sexualisierte Gewalt berichten. Leider aber
 werden in der Berichterstattung vergewaltigte Frauen immer wieder
 beschämt, indem ihre Identität bekannt gemacht, über Details der
 sexuellen Gewalt berichtet oder die erlittene Gewalt verharmlost
 wird. Oft wird das Opfer schuldig gesprochen, aber auch Beschuldigte
 werden vorverurteilt. Dies trägt dazu bei, dass vergewaltigte Frauen
 sich erst gar nicht trauen, Anzeige zu erstatten", kritisiert Andrea
 Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser.
Was die Strafverfolgung betrifft, decken sich die Ergebnisse einer
 Studie zum Thema "Strafverfolgung von Vergewaltigung in Europa" aus
 dem Jahr 2009 mit den Erfahrungen des 24-Stunden Frauennotrufes und
 der Wiener Frauenhäuser:
o Die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen ist sehr hoch - nur etwa eine von zehn Vergewaltigungen wird angezeigt. o In Österreich ist der Anteil von Fremdtätern bei den angezeigten Vergewaltigungen sehr hoch - er beträgt 41 Prozent. Frauen scheuen sich davor, den Täter anzuzeigen, wenn er der Partner oder Ex-Partner ist. o Nur 17 Prozent der Anzeigen von Vergewaltigungen in Österreich enden mit einer Verurteilung. Das bedeutet, dass vier von fünf vergewaltigten Frauen erleben, dass die angezeigte Tat nicht sanktioniert wird.
"Gesetze und ihr Vollzug spiegeln auch eine gesellschaftliche
 Haltung wider. Der strafrechtliche Umgang mit sexualisierter Gewalt
 und sexuellen Übergriffen muss klar vermitteln, dass derartige
 Gewalttaten in unserer Gesellschaft nicht toleriert werden. Zudem ist
 die Strafjustiz für die Durchsetzung der gesetzlich normierten
 Opferrechte zuständig und trägt hier Opfern gegenüber eine große
 Verantwortung", so Michalek. Über die Ursachen der hohen
 Einstellungs- bzw. Freispruchsquote bei Verfahren wegen
 Vergewaltigung wird im Rahmen der Fachkonferenz in der
 Podiumsdiskussion "VERSTEHEN wir uns RECHT in der JUSTIZkette"
 diskutiert werden.
Das eigene Schlafzimmer als gefährlichster Ort
Eine Vergewaltigung ist eine massive Verletzung des Rechts auf
 sexuelle Selbstbestimmung und der psychischen Integrität des Opfers
 und hat gravierende Folgen. Die meisten Vergewaltigungen geschehen
 nicht im öffentlichen Raum. Meist kennt das Opfer den Täter bereits.
 Sehr oft ist der Täter der eigene Partner. "Sexualisierte Gewalt wird
 nicht aus Lust oder Liebe ausgeübt, sondern um Macht über Frauen zu
 erlangen und sie zu entwürdigen und zu erniedrigen", erklärt die
 Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser Andrea Brem.
Zusätzlich zu den körperlichen Folgen und der Gefahr, durch
 Geschlechtskrankheiten angesteckt oder ungewollt schwanger zu werden,
 kommt es bei einer Vergewaltigung meist zu einer psychischen
 Traumatisierung des Opfers. Die Reaktionen reichen von
 Schuldgefühlen, Panikattacken, Angstzuständen, Schlafstörungen und
 schweren Depressionen über Psychosen bis hin zu Suizid( versuchen).
Sexualisierte Gewalt in Paarbeziehungen wird ganz besonders
 tabuisiert. "Frauen, die von Gewalt betroffen sind, fällt es oft
 schon sehr schwer, über körperliche Gewalt zu sprechen. Mit noch mehr
 Scham ist es verbunden, vom eigenen Partner zu sexuellem Verkehr
 gezwungen zu werden. Es ist unsere Aufgabe einen Weg zu finden, dass
 Frauen auch darüber sprechen können und nicht mit ihren Traumata
 allein bleiben", unterstreicht Andrea Brem.
Kampagne der Wiener Frauenhäuser
Eine neue Kampagne der Wiener Frauenhäuser macht sexualisierte
 Gewalt in der eigenen Familie daher zum Thema. Brem: "Betroffene
 Frauen erleben nämlich nicht die finstere Gasse, sondern das eigene
 Schlafzimmer als den gefährlichsten Ort." Die von der Agentur
 Draftfcb Partners für den Verein kostenlos erarbeitete Kampagne wird
 in Wien plakatiert und von einigen Medien unterstützt.
Zahlen, Daten, Fakten
Zahlen zum Thema gibt es sowohl vom Verein Wiener Frauenhäuser als
 auch vom 24-Stunden Frauennotruf: Eine im Vorjahr durchgeführte
 Befragung unter den Bewohnerinnen der Wiener Frauenhäuser ergab, dass
 etwa 62 Prozent der Frauen unterschiedlichste Formen sexualisierter
 Gewalt erlebt haben. Manche gaben an, über einen längeren Zeitraum
 hinweg zu Geschlechtsverkehr oder Sexualpraktiken, die sie nicht
 wollten, gezwungen worden zu sein.
Die Beraterinnen des 24-Stunden Frauennotrufes führten in den
 letzten 15 Jahren 84.919 telefonische Beratungsgespräche. Rund jeder
 8. Erstanruf (12 Prozent) hatte sexualisierte Gewalt zum Anlass. Ca.
 90 Prozent der AnruferInnen waren weiblich, ca. 10 Prozent der Anrufe
 kamen von Männern. Bei den 11.207 persönlichen Beratungsgesprächen
 der letzten 15 Jahre war sexualisierte Gewalt in 35 Prozent der Fälle
 der Grund für den ersten persönlichen Kontakt.
Täter meistens bekannt
76 Prozent der Opfer kannten den Täter: 29 Prozent der Täter kamen
 aus dem sozialen Umfeld des Opfers. 25 Prozent waren flüchtig
 bekannt. In 10 Prozent der Fälle war der Täter der eigene Partner, in
 8,7 Prozent der Expartner. Nur rund ein Viertel der vom Notruf
 betreuten Vergewaltigungsopfer (24,4 Prozent) kannte den Täter nicht.
Die Opfer lassen in der Regel nach der Tat viel Zeit verstreichen,
 ehe sie sich Hilfe holen. In den meisten Fällen (36 Prozent) wurde
 der Frauennotruf erst nach einem längeren Zeitraum (über drei Monate)
 nach der Tat kontaktiert wird. 33 Prozent der Betroffenen
 kontaktieren den Frauennotruf innerhalb der ersten drei Monate nach
 der erlebten Vergewaltigung. Nur 23 Prozent der Opfer wenden sich
 innerhalb von 24 Stunden nach der Tat an den Frauennotruf. "Gefühle
 von Schuld oder Scham und Verdrängung sind oft ausschlaggebend, dass
 Opfer lange schweigen. Oft suchen Frauen erst Hilfe, wenn der
 Leidensdruck unerträglich wird", erklärt Barbara Michalek.
Rechtliche Situation in Österreich
Bis zum Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes im Jahr
 1989 war eine Vergewaltigung in der Ehe oder Lebensgemeinschaft nur
 als Nötigung belangbar. Erst seit 31. Mai 1989 ist die Vergewaltigung
 in der Ehe oder Lebensgemeinschaft explizit als Vergewaltigung
 strafbar. Jedoch war die Vergewaltigung in der Ehe oder
 Lebensgemeinschaft bis ins Jahr 2004 nur auf expliziten Antrag des
 Opfers zu verfolgen. Erst das Strafrechts-änderungsgesetz 2004
 brachte am 1. Mai 2004 die vollkommene rechtliche Gleichstellung
 einer Vergewaltigung in und außerhalb einer Ehe oder
 Lebensgemeinschaft: Seitdem muss jede Vergewaltigung, unabhängig von
 der Art der Beziehung zwischen Opfer und Täter, von den Strafbehörden
 von sich aus - ohne Antrag auf Strafverfolgung durch das Opfer -
 verfolgt werden. (Schluss) lac
Rückfragehinweis:
 Büro Stadträtin Sandra Frauenberger
 Mediensprecherin Mag.a Marianne Lackner
 Tel.: +43 1 4000 81853
 mailto:marianne.lackner@wien.gv.at
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