• 18.09.2011, 18:35:39
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"Die Presse"-Leitartikel: Die SPD ist wieder da - dank der Schwäche der Regierung, von Eva Male

Ausgabe vom 19. September

Wien (OTS) - Die schwarz-gelbe Koalition in Deutschland befindet
sich in einem erbärmlichen Zustand. Für Bundeskanzlerin Merkel wird
das Regieren immer schwieriger.

Die SPD ist wieder da. Das ist die eine Botschaft der Landtagswahl in
Berlin vom gestrigen Sonntag. Die Sozialdemokraten, die zuletzt auch
im Bund mit 29 Prozent auf ihren höchsten Wert seit dreieinhalb
Jahren kletterten, konnten in der Hauptstadt ihre bisherige
Erfolgsserie im Superwahljahr 2011 fortsetzen. Sie haben Hamburg
zurückerobert, in Baden-Württemberg regieren sie nun mit den Grünen,
in allen anderen Bundesländern, in denen gewählt wurde, blieben sie
an der Macht.

Mit dem klaren Sieg des SPD-Kandidaten Klaus Wowereit, der in Berlin
nach zehn Jahren weiterregieren kann - bei freier Partnerwahl noch
dazu -, erweitert sich die Runde der möglichen Kanzlerkandidaten.
Neben Parteichef Sigmar Gabriel, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück
und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird nun auch Wowereit als
potenzieller Bewerber gehandelt - da kann der Bürgermeister noch so
oft beteuern, dass er in Berlin bleiben wolle.

Das derzeitige Hoch der SPD, die bei den Bundestagswahlen vor zwei
Jahren auf blamable 23 Prozent abgestürzt ist, flößt der Partei neues
Selbstbewusstsein ein. Sie hat es nun nicht notwendig, sich der
Bundeskanzlerin als Koalitionspartner in der Not anzudienen, falls
die schwarz-gelbe Regierung zerbrechen sollte, und registriert mit
Zufriedenheit, dass der Höhenflug der Grünen, nicht nur in Berlin,
zwar gedämpft wurde, der Wunschpartner für eine Koalition im Bund
aber insgesamt stark bleibt.

Primär nährt sich die Stärke der Sozialdemokraten allerdings aus der
Schwäche der Regierungsparteien. Die inhaltliche Neuaufstellung, die
nach der Bundestagswahl 2009 versprochen wurde, hat bisher im
Wesentlichen nicht stattgefunden. Aus den vergangenen zwei Jahren ist
außer der Debatte um Thilo Sarrazin und dem stockenden
Ausschlussverfahren gegen ihn kaum etwas in Erinnerung.

Auch die Wahlerfolge der SPD sind, wenn man von Hamburg und Bremen
absieht, bei genauerer Betrachtung De-facto-Verluste im Vergleich zu
den letzten Wahlen in den jeweiligen Bundesländern. Der Erfolg gibt
der SPD zwar Rückenwind, ist aber nur relativ. Längerfristig wird die
SPD zeigen müssen, dass sie aus eigener Kompetenz Politik gestalten
kann und nicht bloß von der Schwäche der anderen zehrt.

Und schwach sind sie wahrlich! Die schwarz-gelbe Koalition befindet
sich in einem erbärmlichen Zustand. Dass das Pendel im politischen
Kreislauf immer wieder von links nach rechts schwingt und zurück, ist
normal. Aber dass es in Deutschland nun so schnell ging, ist - im
negativen Sinn - das Verdienst dieser Regierung. Sie hatte einen
schlechten Start, versprach mehrmals einen Neuanfang - und stolperte
doch immer tiefer ins Verderben. Auch die Wahlergebnisse in Berlin
taugen nicht als Muntermacher.

Nicht und nicht hat es die FDP geschafft, ihr inhaltliches Spektrum
über die Forderung nach Steuersenkungen hinaus zu erweitern, ist in
die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Nur durch populistische
Äußerungen, die vom Euro-Rettungskurs der Regierungschefin abweichen,
gelang es den Liberalen zuletzt, auf billige Weise in den Umfragen
etwas zuzulegen. Merkel mag den Koalitionspartner bewusst klein
gehalten haben - dass er so schwach wird, kann sie nicht gewollt
haben: Die FDP ist inzwischen ein Klotz am Bein.

Auch in der eigenen Partei hat die CDU-Chefin niemanden neben sich
groß werden lassen. Noch steht sie als Bundeskanzlerin und
Parteivorsitzende konkurrenzlos da. Trotz aller Kritik an ihrem
zögerlichen Auftreten in Europa ringt sie vielen immer noch
Bewunderung ab. Allzu schwierig ist schließlich in der Eurokrise der
Spagat zwischen europäischer Verantwortung und innenpolitischem
Druck: Den Deutschen, so die Stimmung im Land, ist es nicht recht, in
der EU immer nur (drauf)zahlen zu müssen.

In dieser äußerst heiklen Lage steht Merkel immer noch einigermaßen
aufrecht da, verzichtet auf Populismus, wagt unpopuläre
Entscheidungen. Aber das Schiff, das sie steuert, leckt. Und die
schwarz-gelbe Mannschaft neigt zunehmend zum Meutern. Für Merkel wird
das Regieren ohne Zweifel immer schwieriger.

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
www.diepresse.com

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