• 03.09.2011, 19:35:06
  • /
  • OTS0045 OTW0045

"Kleine Zeitung" Kommentar: "Haben wir falsch reagiert?" (von Thomas Götz)

Ausgabe vom 04.09.2011

Graz (OTS) - Es gibt Daten, die brennen sich ins Gedächtnis
ein. Lebenslang erinnert man sich daran, was damals im eigenen Leben
passiert ist. Der Einmarsch der Sowjets in Prag war so ein Moment,
der 11. September 2001 auch.

Der Schock ist verflogen, die Wirkungen halten an. Zwei Kriege
schleppen sich bis heute hin, einer im Irak, der andere in
Afghanistan. Das Misstrauen zwischen Christen und Muslimen ist stabil
gestört und der Flugverkehr wird nie mehr so unkompliziert
funktionieren wie zuvor. Das Gefangenenlager und Foltercamp
Guantanamo, bewusst außerhalb der Grenzen und Regeln des Rechtsstaats
angelegt, hat die Glaubwürdigkeit des Westens nachhaltig geschädigt.
Und Al Kaida bombt noch immer.

Kritiker wandten schon vor zehn Jahren ein, es habe wenig Sinn, einen
nur lose organisierten und international vernetzten Feind mit einer
hochgerüsteten Armee zu bekämpfen. Polizeieinsätze wie die "Operation
Geronimo", die neun Jahre später zum Tod Osama bin Ladens geführt
hat, erwiesen sich als viel erfolgreicher gegen Al Kaida.

Doch der späte Triumph hatte einen Schatten, der den Kriegsherren
recht zu geben scheint. Das Versteck Osamas wurde gefunden, weil sich
ein Gefangener in Guantanamo verraten hatte - wohl kaum freiwillig.
Und wäre bin Laden je ins leichter zugängliche Pakistan ausgewichen,
hätte man ihm nicht mit Militärgewalt die Basis in Afghanistan
entzogen?

George Bush hat den Terror vom 11. September 2001 als Kriegserklärung
aufgefasst und mit Krieg geantwortet. In der Empörung nach dem
Anschlag fand seine Entschlossenheit viel Anklang. Heute aber sind
die Kriege am anderen Ende der Erde kaum noch finanzierbar, Rekruten
fehlen und die Motivation in der Heimat lässt nach. Das Ende des
Römischen Reiches fing ähnlich an.

Der sogenannte "arabische Frühling" muss für die Strategen der beiden
Feldzüge zusätzlich demoralisierend sein. Die Aufstände zeigen, dass
das Bedürfnis nach Freiheit und Mitbestimmung allgemein-menschlich
ist. Das scheint viele westliche Staatskanzleien überrascht zu haben.
Wie sonst lässt sich die helle Aufregung erklären, mit der man dort
die Demonstrationen und Kämpfe der arabischen Völker verfolgte und
verfolgt?

Afghanistan und dem Irak brachte man "Demokratie" und "Freiheit" mit
Gewalt. Das hat schon Napoleon versucht. Dort, wo seine Grande Armée
die neuen Ideen hintragen wollte, gerieten sie auf Jahrzehnte in
Verruf: in Deutschland, in Russland, bei uns. Es ist zu hoffen, dass
sich die Revolutionsgeschichte Europas nicht im Irak und in
Afghanistan wiederholt.****

Rückfragehinweis:
Kleine Zeitung, Redaktionssekretariat, Tel.: 0316/875-4032, 4033, 4035, 4047, mailto:redaktion@kleinezeitung.at, http://www.kleinezeitung.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PKZ

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel