- 16.08.2011, 17:05:13
- /
- OTS0152 OTW0152
Wiener Zeitung: Leitartikel von Reinhard Göweil: "Eurobond als ,Akte X'"
Ausgabe vom 17.8.2011
Wien (OTS) - Die jüngsten Reaktionen der Finanzmärkte erinnern
eher an die Fernsehserie "Akte X" - dabei geht es um unheimliche und
paranormale Vorfälle. Die plötzliche Flucht aus den Aktien ist ebenso
wenig erklärbar wie das Faktum, dass die Zinsen auf die
US-Staatsschuld sanken, als die Bonität des Landes herabgestuft
wurde.
Eher im metaphysischen Bereich anzusiedeln sind auch Reaktionen
mancher Politiker auf das Thema europäische Staatsanleihen.
Finanzministerin Maria Fekter sprach von "Milliarden" an
Mehrbelastung für die österreichischen Steuerzahler. Es ist
anzunehmen, dass sie damit erfolgreich Boulevardzeitungen bedient. In
Deutschland treiben ja auch die "Bild"-Zeitung und eine von allen
guten Geistern verlassene FDP die CDU vor sich her, um nur ja nicht
nachzugeben. Die tüchtigen Länder würden bei den sogenannten
Eurobonds draufzahlen, so das Argument. Angela Merkel und Nicolas
Sarkozy erklärten daher sicherheitshalber schon vor ihrem Treffen,
das sei kein Thema.
Nun, der wirtschaftlichen Realität hält diese Ablehnung nicht stand.
Österreichs Staatsschuld wird derzeit mit etwa 2,9 Prozent verzinst.
Eurobonds werden auf zirka 3,5 Prozent taxiert, da ein Ausfall
Europas in etwa so wahrscheinlich ist wie ein Murenabgang in
omanischen Sandwüsten. Und das alles erst auf neue Schulden, nicht
auf die alten. In den kommenden Jahren würde sich die Zinsbelastung
daher kaum erhöhen. Und in diesen Jahren sollten sich ja die
Problemländer wirtschaftlich wieder erfangen und das Zinsniveau
sinken.
Jedenfalls wäre der finanzielle Mehraufwand Europas durch Eurobonds
geringer als die jetzt beschlossenen Rettungsschirme. Für Länder wie
Portugal hätte es die enormen Zinsaufschläge auch nicht gegeben, das
Problem wäre nicht so ausgeufert wie es das jetzt tut.
Aber ökonomische Vernunft und politisches Handeln gehen oftmals nicht
Hand in Hand. Dieses Mal wäre es günstig gewesen, umso mehr als den
Euroländern am Ende des Tages ohnehin nichts anderes übrig bleiben
wird, als sich zu einer Art Bundesstaat zusammenzuschließen. Als
Steuerzahler ist das zu begrüßen. Aber auch im Verhalten der Bürger
gibt es paranormale Phänomene, wie die Ablehnung von "mehr Europa"
zeigt. Solange aber die Regierenden ihre "Akte X" nicht schließen,
wird sich daran nix ändern.
Rückfragehinweis:
Wiener Zeitung
Sekretariat
Tel.: +43 1 206 99-474
mailto:redaktion@wienerzeitung.at
www.wienerzeitung.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PWR






