Ausgabe vom 19.05.2011
Wien (OTS) - Offenbar bedarf es deftiger Worte, um Gehör zu
finden. Feig, blöd und ahnungslos hat Erste-Bank-Chef Andreas Treichl
Österreichs Wirtschaftspolitiker genannt. Die Wortwahl war, um im
Treichl-Jargon zu bleiben, verallgemeinernd, präpotent und daher
dumm. Treichl sollte auch nicht vergessen, dass etliche seiner
Bankerkollegen in den letzten Jahren ziemlich viel Mist gebaut haben
und die jetzt heftig kritisierten Politiker zu unpopulären
Banken-Rettungsaktionen gezwungen haben.
In der Sache hat Treichl aber Recht, und deshalb waren seine Worte
überfällig: Kommen die neuen EU- Eigenkapitalvorschriften für Banken
("Basel III") und Versicherungen ("Solvency II") sowie die neuen
Bewertungsregeln laut IFRS 4 (International Financial Reporting
Standards), dann werden Kredite an Unternehmen teurer bis
unfinanzierbar und klassische Lebensversicherungen mit Laufzeiten von
30 bis 50 Jahren werden weitgehend vom Markt verschwinden. Dagegen
gilt es, in Brüssel Sturm zu laufen.
Die Probleme sind schon lange bekannt und wurden gegenüber Politikern
auch immer wieder angesprochen; das Echo war aber bisher gleich Null.
Treichls Zornesausbruch stößt daher nun auch in fachkundigen
SPÖ-Kreisen wie bei Wiens Bürgermeisdter Michael Häupl oder Günter
Geyer, Chef der Vienna Insurance Group, auf Verständnis.
Neben der medienwirksamen Attacke auf Politiker ist untergegangen,
dass Treichl vergangene Woche auch auf einer anderen Ebene wider den
Stachel gelöckt hat: Er hat die Aufsichtsrats-Gagen bei der "Ersten"
verdoppelt. Das ist unpopulär, zum jetzigen Zeitpunkt auch
ungeschickt - aber ein wichtiges Signal: Zum Nulltarif (oder gegen
bescheidene Aufwandsvergütung) bekommt man nur Jasager oder
Geschäftsfreunde in solche Gremien. Die helfen einem Unternehmen auf
Dauer aber nicht wirklich weiter.
"If you pay peanuts, you get monkeys", hat der Finanztycoon James
Goldsmith einmal gesagt, oder auf gut Deutsch: Wer nichts zahlt, darf
nichts erwarten. Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die
Politik. Vielleicht hat Andreas Treichl auch in diese Debatte etwas
Schwung gebracht. Dass der 59jährige Multimillionär nach 14 Jahren an
der Spitze der Erste-Bank (und zuvor sechs Jahren nebenberuflich als
Finanzreferent der ÖVP) keine Rücksichten mehr nehmen muss,
erleichtert es ihm offenbar ungemein, seinen Gedanken verbal freien
Lauf zu lassen.
Rückfragehinweis:
Vorarlberger Nachrichten, Chefredaktion
Tel.: 0676/88005382
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