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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Kroatiens Schlacht um die Erinnerung" (von Norbert Mappes-Niediek)
Ausgabe vom 16.04.2011
Graz (OTS) - Ins Gefängnis müssen ein Armeegeneral und ein
Polizeioffizier. Aber verurteilt wurden in Den Haag gestern
Staatsgründer Franjo Tudjman und seine Politik. Klar und deutlich
haben die Richter ausgesprochen, dass nur der Tod den ersten
Präsidenten Kroatiens vor einem Schuldspruch bewahrt hat. Zwanzig
Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens hat das Tribunal die Lebenslüge
des Nachfolgestaats widerlegt.
Die Vertreibung von 200.000 Serben als Abschluss eines vierjährigen
Krieges war keine militärische, sondern eine politische Tat. Tudjman
wollte für seine Nation keinen Opfer-, sondern einen Tätermythos. Die
Kroaten sollten sich als großes, siegreiches Volk fühlen. Da kam ein
"Feldzug" gegen die Serben in der Krajina recht. Aber das
vermeintliche militärische Glanzstück war einerseits bloß Show,
andererseits ein Verbrechen. Die Eroberung der Krajina war eine
abgekartete Sache. Die serbische Armee, dirigiert von Milosevic in
Belgrad, zog sich kampflos zurück. Kroatien und Serbien wollten
Frieden schließen und ihre Fronten begradigen - auf Kosten der
kroatischen Serben. Die Morde an wehrlosen alten Menschen in der
Krajina, von uniformierten Spezialpolizisten aus ihren Betten gezerrt
und abgestochen, erreichten nicht die Dimension des Völkermords in
Bosnien. Aber in der moralischen Qualität stehen sie ihm nicht nach.
Seit der Tat sind sechzehn Jahre vergangen, Tudjman ruht in einem
pompösen Marmorgrab auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj. Kroatien
begeht in Erinnerung an die Eroberung der Krajina noch immer
alljährlich am 5. August den "Tag der vaterländischen Dankbarkeit".
Aber die junge Nation kommt auch ohne den Heldenkult aus, den ihr
Gründungsvater so liebte. Die Veteranen, die jede Kritik an Kroatiens
Rolle im Krieg zum "Verrat" erklären, brachten gestern in Zagreb
gerade einmal 2000 Menschen auf die Beine. Geschlagen ist die
Schlacht um die Erinnerung trotzdem noch nicht. Eben weil ihre
korrupten Politiker ständig von Europa reden, ist gerade jungen,
offenen Kroaten die Beitrittsperspektive zunehmend verdächtig. Das
freut jene, die Europa sowieso nicht mögen, weil es die junge Nation
in ihrem Befreiungskrieg so schmählich im Stich gelassen habe. Mit
dem Urteil werden sie erst einmal Auftrieb bekommen.
Gewinnen werden die späten Anhänger Tudjmans den Kampf um die
Geschichte am Ende nicht. Lügen haben bekanntlich kurze Beine.
Historische haben allerdings etwas längere. Kroatien ist zu wünschen,
dass es damit nicht noch an der historischen Beitrittschance
vorbeiläuft.****
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