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Wiener Zeitung: Leitartikel von Walter Hämmerle: "Postheroische Helden"

Ausgabe vom 18. März 2011

Wien (OTS) - "Unglücklich das Land, das keine Helden hat!", lässt
Bertold Brecht in seinem Stück "Das Leben des Galileo Galilei" einen
Studenten - schwer enttäuscht vom Widerruf Galileis - klagen. Worauf
der von Brecht als Anti-Held gezeichnete Astronom kontert: "Nein.
Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."

Unglücklicherweise braucht Japan nun dringend mehr als nur eine
Handvoll Helden. Und glücklicherweise haben sich todesmutige Menschen
gefunden, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens bereit sind, im und
um den hoch radioaktiv verstrahlten Reaktor Fukushima gegen die immer
weitere Eskalation der Katastrophe anzukämpfen. Viel spricht dafür,
dass diesen Einsatzkräften bleibende gesundheitliche Folgen drohen.

Das ist der Stoff, aus dem die Traumfabriken aller Welt ihre
Geschichten beziehen: Der archetypische Topos vom Einzelnen, der sich
zum Wohle der Gemeinschaft selbst opfert, ist tief in unserem von
Mythen durchwebten Unterbewusstsein verankert. Hollywood-Filme voller
Helden, die ohne Unterlass die Welt retten, sind das eine, die
tatsächliche Gesellschaft, in der wir leben, ist das andere. Letztere
hat sich jedoch selbst zu einer durch und durch postheroischen
erklärt, für klassische Helden hat sie keinen Bedarf mehr. Der
anonymisierte Wohlfahrtsstaat ist dafür gedacht, in jeder nur
denkbaren Lebenslage für die ersehnte Rettung zu sorgen.

Was aber, wenn unsere demokratische Gesellschaft doch einmal Helden
braucht? Autoritäre Regime aller Zeiten haben ihre Bürger kurzerhand
zum Opfergang zwangsrekrutiert und ihnen allenfalls hinterher den
Heldenstatus verliehen. Für eine liberale Demokratie ist Zwang in
dieser Frage allerdings undenkbar, steht hier doch die Freiheit des
Einzelnen im Zentrum. Also müssen sich die Helden schon freiwillig
zum Rettungsdienst melden, denn dazu verpflichten kann sie der
liberale Staat nach eigenem Selbstverständnis nicht.

Friedrich Nietzsche, der vor allem Verachtung für jeden moralischen
Impetus übrig hatte, schrieb in einem Brief: "Was 'den Helden'
betrifft: so denke ich nicht so gut von ihm wie Sie. Immerhin: Er ist
die annehmbarste Form des menschlichen Daseins, namentlich, wenn man
keine andere Wahl hat."

Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/leitartikel

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