• 16.02.2011, 18:23:35
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"DER STANDARD"-Kommentar: "Würdeloses Täuschungsmanöver" von Colette M. Schmidt

Das steirische Bettelverbot sorgt für Proteste, weil es Bürger für dumm verkauft - Ausgabe vom 17.2.2011

Wien (OTS) - Betteln ist organisierte Kriminalität. Das sagen die
Befürworter von Bettelverboten in ganz Österreich, auch in der
Steiermark. Was wurde eigentlich aus der guten alten
Unschuldsvermutung? Kann man Menschen pauschal kriminalisieren, ohne
Beweise? Man kann. Schließlich kann man sogar aufgrund von
Behauptungen ein Gesetz beschließen, das zwischen 70 und 100 Roma aus
Südosteuropa, die in Graz betteln, um zu überleben, vertreibt
Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten in Graz über Jahre, ohne
Hinweise für organisiertes Verbrechen, Menschenhandel oder Ausbeutung
zu finden. Für ÖVP, FPÖ und - nach dem atemberaubenden Schwenk der
Landespartei - auch für die SPÖ ist das vollkommen egal.
Roma haben de facto keine Rechte, nicht in Österreich, nicht in der
Slowakei und Bulgarien. Sie sind die am stärksten diskriminierte
Gruppe Europas. Ihre Arbeitslosigkeit liegt etwa in der Slowakei bei
98 Prozent. Und sie hatten keine Lobby. Bis jetzt. Denn seit ein paar
Tagen demonstrieren und unterschreiben Grazer Bürger aus der
Kulturszene, aus sozialen Einrichtungen, der evangelischen und
katholischen Kirche und Studierende zu Tausenden für den Verbleib
dieser Roma in ihrer Stadt.
Nein, Steirer sind keine besseren Menschen. Aber zwei Faktoren haben
in den letzten Jahren Spuren hinterlassen: Erstens verlieh sich Graz
vor genau zehn Jahren selbst den Titel "Stadt der Menschenrechte" -
nicht als Auszeichnung, sondern als Auftrag. Jeder
Gemeinderatsbeschluss muss seither menschenrechtlichen Kriterien
standhalten. Das European Training and Research Center for Human
Rights and Democracy (ETC) und der Grazer Menschenrechtsbeirat
begleiteten diesen Prozess, der auch Aufklärungsarbeit beinhaltete.
Arbeit, die in der Bevölkerung langsam wirkt, während sie den
Regierenden oft lästig ist.
Zweitens ist da noch Pfarrer Wolfgang Pucher, der sich sei 15 Jahren
um die angereisten Roma kümmert und auch in einer ihrer
Heimatgemeinden, Hostice, Hilfsprojekte aufbaute. Projekte, die von
der steirischen Politik stets angekündigt und nie realisiert wurden.
Pucher gab den Bettlern Gesichter und Biografien.
Und in diesen Biografien wurden seit Jahrhunderten tradierte
Klischees wie das des Roma-Patriarchen, der die "Sippe" ausbeutet,
oder der "arbeitsscheuen Zigeuner" als Vorurteile entlarvt. Zuletzt
auch in einer breit angelegten Studie des ETC und der Uni Graz über
die Bettler in Graz .
ÖVP, FPÖ und SPÖ betonen nun ihre Sorge um die "Würde" der Bettler,
die da so knien müssten. Doch Menschenwürde hat vor allem etwas mit
Selbstbestimmung zu tun, und diese spricht man den Roma - ohne sie
selbst zu fragen - ab. Man entscheidet für sie, was gut für sie ist.
Und man entscheidet für die Grazer, wem sie wo etwas geben dürfen.
Würdelos sind dafür jene Stereotype, die in der Landtagsdebatte
bemüht wurden. Von "Zigeunern" sprach die FPÖ, von Hilfe nur für
"arbeitswillige" Roma die SPÖ und über ein Projekt, das Roma im
Knoblauchanbau beschäftigen soll, die ÖVP.
Die Gegner des Bettelverbots wurden nun laut. Aber wo sind die
Befürworter? FPÖ-Chef Gerhard Kurzmann weiß das: "Die schweigende
Mehrheit steht hinter uns." Schweigende Mehrheiten sind praktisch:
Schon in ganz Österreich konnte man ihnen immer wieder allerlei in
den Mund legen. Sie sagen ja nichts.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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