• 20.10.2010, 17:22:22
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  • OTS0278 OTW0278

Verwaltungsgerichtshof reagiert auf die Vorwürfe der Frau Bundesministerin für Inneres

Wien (OTS) - Die Ausführungen der Frau Bundesminister für Inneres
zuletzt im Nationalrat am 20. Oktober 2010 geben dem Präsidium des
Verwaltungsgerichtshofes zu folgenden Feststellungen Anlass:

1. Zum Beschwerdeanfall in Asylsachen: Hier gab es einen
signifikanten Anstieg in den Jahren 2006 und 2007, der Effekt einer
erheblichen Personalvermehrung beim Unabhängigen Bundesasylsenat und
des damit verbundenen Abbaus des bei diesem entstandenen Rückstandes.
Der VwGH konnte darauf schon deshalb nicht mit einer entsprechenden
Steigerung der Erledigungszahlen reagieren, weil die überfällige
Strukturreform nach wie vor aussteht und zunächst auch keine
Personalvermehrung beim VwGH erfolgte. Das Anwachsen der Rückstände
war daher unvermeidlich. Erst im Zusammenhang mit der Einrichtung des
Asylgerichtshofes konnte ein weiterer Senat eingerichtet werden; bei
Wirksamwerden der Personalvermehrung war der Rückstand jedoch bereits
auf ca. 5.500 anhängige Beschwerdefälle angewachsen. Das Aufarbeiten
dieses Rückstandes ist noch nicht zur Gänze abgeschlossen.

Neu angefallen sind im Jahr 2005 : 1.419 Beschwerdefälle, im Jahr
2006 : 2.506, 2007 : 4.260 und 2008 : 2.555 Beschwerdefälle. Erledigt
wurden im Jahr 2005 : 1.108 Beschwerdefälle, 2006 : 1.231, 2007 :
2.386, 2008 : 2.332, 2009 : 2.349 und in den ersten neun Monaten des
Jahre 2010 : 1.297 Beschwerdefälle. Zum jeweils 31. Dezember anhängig
verbliebene Beschwerdefälle waren 2004 : 1.015, 2005 : 1.330, 2006 :
2.605, 2007 : 4.479, 2008 : 4.702, 2009 : 2.385 und zum 30. September
2010 : 1.180.

2. Zur langen Verfahrensdauer: Da der VwGH nicht nur für die
Rechtssachen des Bundesministeriums für Inneres, sondern für die
gesamte österreichische Verwaltung zuständig ist, konnte und kann die
Bearbeitung der Asylfälle nur auf eine Weise erfolgen, die nicht den
sonstigen Betrieb des Gerichtshofes lahm legt. Die Konsequenz daraus
sind aber die unweigerlich längeren Bearbeitungszeiten im Asylwesen.
In welcher Reihenfolge ein Richter die bei ihm anhängigen Fälle
erledigt, gehört grundsätzlich zur Sphäre der richterlichen
Unabhängigkeit.

3. Zur Praxis des vorläufigen Rechtsschutzes: Soweit
Asylbeschwerden vom VwGH ohne Vorverfahren abgelehnt werden, wurde in
der Regel auch keine aufschiebende Wirkung gewährt. Anders wenn das
Vorverfahren eingeleitet wurde: In diesen Fällen war aber die
Unverhältnismäßigkeit des Nachteils für den Asylwerber (vor allem auf
Grund der drohenden Abschiebung bei negativem Ausgang des
Asylverfahrens) auch ohne nähere Konkretisierung evident. Zwingende
öffentliche Interessen waren für den Regelfall hingegen nicht zu
erkennen. Zudem waren die Richter und Richterinnen auch davon
geleitet, dass die belangte Behörde in allfälligen Ausnahmefällen
(z.B. schwere Kriminalität) auch einen begründeten Aberkennungsantrag
stellen konnte.

4. Zu den "Dublin-Verfahren": Es ist unzutreffend, dass es hier
bloß um einfach zu lösende Zuständigkeitsfragen geht:
- Gerade hier waren und sind erstmals europarechtliche Rechtsfragen
zu lösen. Dabei geht es sowohl um die Auslegung des
Gemeinschaftsrechts als auch um das Zusammenspiel mit den national
verankerten Grundrechten. So bedurfte vor allem die Frage, in welchen
Fällen das Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichtend auszuüben
ist, zunächst einer grundsätzlichen und anschließend einer -
fallbezogen stattfindenden - ständigen Prüfung. Diese Frage wurde
kürzlich auch von einem Gericht in Großbritannien an den EuGH im Wege
eines Vorabentscheidungsersuchens herangetragen.
- Auch nach der Osterweiterung der EU ist vom VwGH sehr sorgfältig zu
prüfen, ob sich bei der Überstellung von Asylwerbern dorthin
menschenrechtliche Probleme ergeben konnten. So wurde etwa
ausführlich zur Lage in der Slowakei Stellung genommen. Dass man sich
nicht darauf zurückziehen kann, alle EU-Staaten generell als sicher
anzusehen und keine weitere Prüfung vorzunehmen, zeigte das zuletzt
beim EGMR anhängige Verfahren gegen Belgien und Griechenland.

5. Zur Schwierigkeit der Asylverfahren: Es ist nachdrücklich
darauf hinzuweisen, dass die sehr mangelhafte legistische Qualität
der Rechtsvorschriften im Asyl- und Fremdenrecht immer wieder dazu
geführt hat, dass der VwGH mit Auslegungsproblemen schwierigster Art
konfrontiert war. Auch in diesem Rechtsbereich ist die
Gesetzmäßigkeit mit der gleichen Sorgfalt zu prüfen wie in den
anderen - hauptsächlich Inländer betreffenden - Verwaltungsmaterien.
Die kaum erreichte Stabilität der Vollziehung wurde durch einander
überstürzende gesetzliche Maßnahmen immer wieder aus dem
Gleichgewicht gebracht. Schließlich ist festzuhalten, dass auch dann,
wenn eine Beschwerde ohne ausführliche Begründung abgelehnt wird,
dies nicht bedeutet, dass dem nicht sorgfältige juristische
Überlegungen vorausgegangen wären.

Rückfragehinweis:
Präsident des Verwaltungsgerichtshofes
Dr. Clemens Jabloner
Tel. 53 111-276

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