• 12.10.2010, 18:23:40
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"Die Presse" - Leitartikel: Wir brauchen mehr moderate Muslime in der Politik, von Erich Kocina

Ausgabe vom 13.10.2010

Wien (OTS) - Die Islamische Glaubensgemeinschaft will mehr
politisches Engagement von Muslimen - die dürfen aber nicht nur aus
der religiösen Ecke kommen.

Sie sind die Feindbilder von rund einem Viertel der Wiener - die
Muslime. Ein Schluss, der angesichts des Wahlergebnisses der FPÖ
naheliegen könnte, schließlich setzte Heinz-Christian Strache in
seiner Kampagne für den Wiener Wahlkampf fast ausschließlich auf den
Kampf gegen den Islam. Und immerhin 27 Prozent der Wahlberechtigten
konnten sich mit dieser Linie offensichtlich identifizieren.
Dass es nicht wahnsinnig lustig ist, von so vielen Menschen als
Bedrohung angesehen, als Feindbild betrachtet zu werden, ist
verständlich. Wie man als Moslem letztlich damit umgeht, ist aber die
eigentlich entscheidende Frage. Und die möglichen Antworten darauf
lassen sich auf genau zwei Varianten reduzieren: Die eine ist, sich
zurückzuziehen, nur ja nicht allzu viel Aufsehen zu erregen und im
Schutze der eigenen Community auf bessere Zeiten zu hoffen -
inklusive der Bildung verschwörerischer Zirkel, die mit besonders
radikalen Auslegungen des Korans gleich die gesamte Gesellschaft nach
ihren Vorstellungen umkrempeln wollen. Die andere ist, umso
selbstbewusster nach außen aufzutreten und in die Offensive zu gehen.
Geht es nach der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich
(IGGiÖ), der Vertretung aller österreichischen Muslime, führt an der
zweiten Variante kein Weg vorbei. IGGiÖ-Präsident Anas Schakfeh sagt
im "Presse"-Gespräch, dass sich die Muslime mehr engagieren und sich
für das interessieren müssen, was in ihrem Bezirk, in ihrer Stadt,
passiert. Ein logischer Schritt, denn politische Partizipation führt
zwangsweise schon zu mehr Integration. Schließlich gilt es, nach den
Spielregeln des österreichischen politischen Systems zu spielen und
diese dementsprechend gut zu beherrschen.
Fraglich ist nur, ob Partizipation tatsächlich in die richtige
Richtung geht, wenn sie ausschließlich auf eine muslimische Klientel
abzielt. Die von IGGiÖ-Präsident Anas Schakfeh aufgestellte Rechnung,
dass 100.000 muslimische Wähler zumindest 10.000 Vorzugsstimmen für
muslimische Kandidaten hätten bedeuten müssen, zeigt die
Einbahnstraße, in die eine solche Denkart führen kann. Denn folgen
wir diesem Weg konsequent - mehr Türken bzw. Muslime ziehen in den
Wahlkampf und sprechen ausschließlich Türken bzw. Muslime an -, endet
die Partizipation genau am Rand dieser Zielgruppen. Dann wählen
Türken ihre türkischen Kandidaten, Muslime wählen Muslime. Und am
Ende haben wir eine nach Ethnien und Religionen aufgesplitterte
Sitzordnung in Gemeinderat und Nationalrat.
Das mittel- bis langfristige Ziel muss also sein, dass Menschen mit
türkischen Wurzeln, dass Muslime nicht ausschließlich als Vertreter
dieser Gruppen auftreten und als solche wahrgenommen werden. Und das
wird nur dann gelingen, wenn mehr Kandidaten aus der Mitte des
türkischen bzw. muslimischen Spektrums den Weg in die Politik finden.
Die im besten Fall gar nicht mehr als Moslem, sondern "nur" als
Österreicher wahrgenommen werden und sich wie selbstverständlich auf
allen politischen Feldern bewegen.

Es ist klar, dass eine kopftuchtragende Kandidatin mit streng
konservativen Vorstellungen auf den durchschnittlichen Wähler ähnlich
abschreckend wirkt wie eine deutschnationale Mutterfigur à la Barbara
Rosenkranz. Keine Frage, auch extremere Ränder innerhalb des
demokratischen Spektrums haben Berechtigung, in der Politik vertreten
zu sein. Mehrheitstauglich sind per Definition jene Kandidaten, mit
deren Haltungen und Werten sich ein Großteil der Bevölkerung auch
identifizieren kann - dazu gehören vor allem die Säkularen. Genau
davon brauchen wir viel mehr.
Das wäre ein Schritt, der als sichtbares Zeichen der Integration
verstanden und damit das Bild, das in der Öffentlichkeit mit
türkischstämmigen Menschen oder Muslimen verbunden wird, nachhaltig
verändern würde. Jenes Bild, mit dem die Freiheitlichen von
Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen. In diesem Sinne muss auch klar sein,
dass führende Funktionäre großer türkischer Vereine, die ohne
Dolmetscher kein Interview bestreiten können, ein absolutes
Auslaufmodell sein müssen.

Rückfragehinweis:
chefvomdienst@diepresse.com

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