- 29.09.2010, 18:36:00
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"DER STANDARD"-Kommentar: "Apokalypse abgeblasen" von Gerald John
Düsteren Prognosen zum Trotz ist das staatliche Pensionssystem zu retten (Ausgabe ET 30.09.2010)
Wien (OTS) - Scharfmacher gegen Schönredner, Rentenräuber gegen
Gerontokraten: Der Streit um die (Un-)Sicherheit der staatlichen
Pensionen gerät zum Glaubenskrieg. Verteidiger des Systems werden
rasch als unverbesserliche Träumer abgestempelt, Skeptiker als fünfte
Kolonne der Wallstreet, die sich die Sparbücher der Senioren krallen
möchte.
Die heimische Pensionskommission stiftet da nur noch mehr Konfusion.
Ihr neuer Bericht prophezeit eine wahre Kostenexplosion, ist aber
unter den Experten selbst umstritten. Tatsächlich sind die Annahmen
pessimistisch. Noch unter dem Eindruck der Krise haben die Autoren
bis 2060 ein Wirtschaftswachstum von lediglich 1,67 Prozent jährlich
veranschlagt - aktuellere Prognosen fallen zumindest einmal fürs
nächste Jahr hoffnungsvoller aus. Für Normalsterbliche ist es
unmöglich, sich ein Urteil zu bilden. Wer kann schon verlässlich die
nächsten 50 Jahre voraussagen?
Kaffeesudleserei hilft nicht weiter. Lieber sollten sich Politik und
Gesellschaft eine andere Lehre zu Herzen nehmen, die sich ebenfalls
aus dem Report ergibt: Der Niedergang des Pensionssystems ist nicht
unabwendbar. Es kann viel dagegen getan werden.
Zuallererst müssen die Menschen länger arbeiten. Generation für
Generation werden die Österreicher älter, gehen aber nicht später in
Pension, weshalb die Zeit im Ruhestand zunimmt. Der schrumpfende Teil
der Erwerbsbevölkerung kann die wachsende Last nicht ewig schultern.
Die Expertenkommission kommt auch deshalb zu alarmierenden Zahlen,
weil sie nur mit einem geringen Anstieg des Pensionsalters rechnet.
Doch das ist kein Naturgesetz. In vielen Ländern halten Arbeitnehmer
länger im Job durch. Lediglich in Österreich gilt das Unvermeidliche
als unzumutbar.
Um dies zu ändern, bedarf es keiner Revolution im System. Es müssen
nur bisherige Reformen und das gesetzliche Pensionsalter von 65
(Männer) und 60 (Frauen) endlich ernst genommen werden. Weg also mit
zur Regel gewordenen Ausnahmen wie der "Hacklerpension".
Arbeitsfähige Senioren sollen sich die Frührente künftig mit
Abschlägen erkaufen, dafür aber von besserer Gesundheitsvorsorge und
Absicherung im Job profitieren. Altersdiskriminierung ist hierzulande
weit verbreitet, die Erwerbsbeteiligung Älterer sehr niedrig. 40
Prozent der Arbeiter, die dann in Invaliditätspension landen, werden
abgeschoben, sobald sie ihre Krankheit bekanntgeben. Firmen, die
ältere Bedienstete gezielt entsorgen, sollten einen Teil der
Folgekosten für die Allgemeinheit aufgeladen bekommen.
Ebenfalls steigen muss die Zahl der berufstätigen Frauen - bessere
Kinderbetreuung ist auch eine Lebensversicherung fürs Pensionssystem.
Weiters braucht Österreich Zuwanderung. Wer die Grenzen dichtmachen
will, soll gefälligst dazusagen, dass die Leute dann bis 70 hackeln
müssen.
Rechnet man noch die milliardenschweren Einsparungen ein, die sich
langfristig aus bereits auf Schiene gebrachten Reformen der
Beamtenpensionen ergeben, dann lassen sich die steigenden Kosten in
einem leistbaren Rahmen halten. Die Alternative wäre, auf die
Propaganda der privaten Versicherer reinzufallen und die komplette
Altersvorsorge den Launen des Kapitalmarkts auszuliefern. Um
festzustellen, dass dies auf ein notdürftig abgesichertes Glücksspiel
hinausliefe, braucht man keine mühsam berechneten Prognosen. Dazu
reichen die Erfahrungen aus diversen Finanzkrisen.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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