Ausgabe vom 26.06.2010
Wien (OTS) - G20-Gipfel bietet erneut Politikern die Bühne, sich
als Lösung des Problems zu inszenieren, das sie sind.
Der Vermittlungsausschuss von Repräsentantenhaus und Senat der
Vereinigten Staaten hat sich nach langen Verhandlungen auf einen
Gesetzesentwurf zur Finanzmarkt-Regulierung geeinigt. Kern des Pakets
sind Beschränkungen für die Banken im Bereich des Handels mit
Derivaten. Vor allem Spekulationsgeschäfte mit landwirtschaftlichen
Produkten, Energie und anderen Rohstoffen sollen stark eingeschränkt
werden.
Denn diese Geschäfte gelten als eine Art "Prototyp der Spekulation".
Dass sie Einschränkungen unterworfen werden, ist dort sinnvoll, wo es
um ein höheres Maß an Transparenz geht. Manche Spitzenökonomen wie
der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann fordern ja seit
Langem, dass mit Lebensmitteln keinerlei Spekulation betrieben werden
darf.
Das sind Dinge, die auch der einfache Mann von der Straße versteht:
Man schmeißt kein Brot weg und zockt nicht mit Getreide. Wirklich?
Gerade die Absicherung landwirtschaftlicher Produktion gegen die
unwägbaren Risiken von Witterung und Klima zeigt, wie bodenständig
und sinnvoll Spekulation ist: Man einigt sich im Frühjahr auf den
Preis des Getreides, das im Herbst geerntet wird, und bezahlt die
Aussaat mit dem Erlös der erwarteten Ernte. Wird die Ernte zerstört,
hat der Landwirt seine Versicherung bereits erhalten, der Käufer, der
mit dem Landwirt ein Kredit- und ein Spekulationsgeschäft
abgeschlossen hat, ergänzt sein Portfolio durch ein
Versicherungsgeschäft, um seinerseits das Risiko, das er dem Landwirt
abgenommen hat, zu minimieren. Der Versicherer wiederum investiert
einen Teil seiner Prämie in eine Polizze bei einem Rückversicherer.
Und schon ist der Urahn des verdammten Credit Default Swap in der
Welt, der unseren Spitzenökonomen so viel Kopfzerbrechen macht.
Alle diese Geschäfte sind erstens für Menschen mit der Fähigkeit zu
sinnerfassendem Lesen und durchschnittlichen Kenntnissen der
Grundrechnungsarten kein Mysterium und zweitens vollkommen problemlos
unter einer Bedingung: dass jeder Beteiligte über genug kurzfristig
realisierbares Kapital verfügt, um fällig gestellte Forderungen zu
erfüllen.
Ob man einige Finanzinstrumente jüngeren Datums wie die verfluchten
ungedeckten Leerverkäufe verbietet oder nicht, ist eher eine
Geschmacksfrage: Das sind wirkliche Zockernummern, aber es zeigt sich
in der Regel, dass sie nur gegen Papiere funktionieren, die
tatsächlich ein substanzielles Problem haben. Griechische
Staatsanleihen zum Beispiel.
Das Kernproblem bleibt immer die Zahlungsfähigkeit im Falle der
Fälligstellung. Und die einzige wirklich effektive Möglichkeit, diese
im Wege der Regulierung sicherzustellen, ist die Festlegung hoher
Eigenkapitalquoten. Je niedriger die Eigenkapitalerfordernisse für
das einzelne Glied in der Kette werden, um so höher wird die
Versuchung für jeden, ein Pyramidenspiel aufzuziehen, das immer
höhere Risiken mit immer höheren Renditeversprechen an den nächsten
weiterreicht, bis die Pyramide einstürzt.
Der groß inszenierte Vorgängergipfel der G20 im September des
Vorjahres in Pittsburgh, bei dem die Staatenlenker eine Neuregelung
der internationalen Finanzmärkte versprachen, ist aus guten Gründen
in Vergessenheit geraten: Er war nichts weiter als eine Bühne für die
populistische Selbstinszenierung von Politikern, die das Problem
sind, für dessen Lösung sie sich halten. Die amerikanische Politik
hat das Pyramidengeschäft der Subprime-Immobilienkredite zuerst durch
billiges Geld und abgeschaffte Bonitätsprüfungen ermöglicht, ihre
Umwandlung in handelbare Assets nicht überzuckert und am Ende eine
marktwirtschaftliche Bereinigung des Schadens durch Bestandsgarantien
für die großen Banken verhindert. Ähnliches ist in Europa passiert.
Das Gerede von gefährlichen Spekulanten, alchimistischen
Finanzinstrumenten und einer außer Rand und Band geratenen
Deregulierung ist also Schwachsinn. Man muss kein ökonomisches Genie
sein, um zu sehen, dass es um exakt zwei Regeln ginge: eine massive
Erhöhung der Eigenkapitalvorschriften und das Ende des Prinzips "Too
big to fail." Das würde Risiken und damit notwendigerweise
Renditechancen minimieren. Weshalb Banken dagegen sind und Politiker
zu feige, sie gegen den Willen der großen Player umzusetzen.
Das seichte Scharmützel um Bankenabgaben und
Finanztransaktionssteuern ist nichts weiter als ein Scheingefecht,
mit dem jene für dumm verkauft werden, die am Ende wieder den Preis
für das "more of the same" zahlen werden: wir.
Rückfragehinweis:
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