- 27.05.2010, 11:00:18
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Alarm im Darm - Wege aus der 'CED-Falle'
29. Mai ist Welttag für Verdauungsgesundheit. CED kosten Österreich rund 2,7 Milliarden im Jahr - Experten suchen Lösungen für 80.000 Betroffene
Wien (OTS) - Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) stehen
im Mittelpunkt des Welttags für Verdauungsgesundheit am 29. Mai
(http://www.worldgastroenterology.org). Denn Morbus Crohn und Colitis
ulcerosa sind alles andere als harmlos. Sie belasten in Österreich
rund 80.000 Betroffene wie auch den Staatshaushalt enorm.
Beim 1. Österreichischen CED-Forum am 27. Mai in Wien
(www.ced-forum.at) berieten ExpertInnen, wie die stark wachsende Zahl
von CED-PatientInnen adäquat versorgt werden kann. "Wir haben
erstmals Mediziner, Spitzenforscher, Gesundheitspolitiker, Betroffene
und die Öffentlichkeit zum Thema CED zusammen gebracht", so
Univ.-Prof. Dr. Walter Reinisch von der Medizinischen Universität
Wien und Leiter der CED-Arbeitsgruppe der Österreichischen
Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie. "Ziel ist, uns
besser zu vernetzen, die Versorgung Betroffener zu verbessern und das
Tabu um CED durch konsequente Information zu brechen."
Denn die Zahl der Spitalsaufnahmen steigt jährlich um
durchschnittlich 18 % - auch Kinder und Jugendliche trifft es immer
häufiger (+10 %). Aufgrund mangelnder Infrastruktur sind allerdings
nur 15 bis 20 % der Betroffenen in spezialisierter Behandlung.
Wenn Durchfall den Job kostet
"Es geht um schweren, chronischen Durchfall - in akuten Phasen bis
30 Mal am Tag", erläutert Rudolf Breitenberger, Präsident der
Österreichischen Morbus Crohn - Colitis Ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV)
und selbst Morbus Crohn-Patient. Dazu kommen extremer
Gewichtsverlust, Schlafmangel, Darmkrämpfe, schmerzhafte Fistel- und
Abszessbildungen. Der Aktionsradius ist auf die unmittelbare
Verfügbarkeit einer Toilette eingeschränkt. Oft folgt der Rückzug aus
dem sozialen Leben, Partnerschaft und Sexualität. "Viele flüchten in
die totale Isolation aus Angst, dass es auffällt. Es folgen oft
Angststörungen, Depression und Jobverlust."
CED dürfen nicht mit Gastritis oder dem Reizdarmsyndrom
verwechselt werden. Innerhalb von 10 Jahren nach der Diagnose müssen
sich 70 % der PatientInnen mindestens einer Darmoperation unterziehen
- bis hin zur chirurgischen Dickdarmentfernung und dem Einsetzen
eines künstlichen Darmausgangs. Das Dickdarmkrebs-Risiko von
CED-PatientInnen ist bis zu 10-fach erhöht.
Wirtschaftsfaktor "Durchfall"
"Der alarmierende Anstieg stellt auch den Staatshaushalt vor große
Herausforderungen", meint Univ.-Prof. Dr. Friedrich Renner, Präsident
der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und
Hepatologie und Primar am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in
Ried i.I. "CED werden meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr
diagnostiziert. Sie belasten Österreich direkt und indirekt mit rund
2,7 Milliarden Euro im Jahr."
"Wenn die Politik nicht gegensteuert werden die CED-verursachten
Kosten explodieren." Neben den direkten medizinischen und
sozialpsychologischen Konsequenzen entstehen der Volkswirtschaft hohe
Schäden durch Arbeitsausfälle, Arbeitsunfähigkeit und vermehrte
soziale Beihilfeleistungen.
Immer mehr Kinder - akute Versorgungsmängel
Nicht nur die Neudiagnosen bei Erwachsenen steigen. "In der
klinischen Praxis beobachten wir auch eine deutliche Zunahme von CED
bei Jugendlichen und Kindern", sagt Reinisch. "Wir rechnen mit einer
Zunahme von jährlich bis zu 3.000 erwachsenen und jugendlichen
CED-PatientInnen."
Doch in Österreich existieren schon heute zu wenige spezialisierte
Einrichtungen, um die aktuell rund 80.000 Betroffenen zu versorgen.
Es fehlt an SpezialistInnen und Ausbildungsangeboten. Aufgrund der
mangelnden Infrastruktur werden bis zu 90 % der Betroffenen im
niedergelassenen Bereich betreut. Eine flächendeckende spezifische
Versorgung, die erhebliches Spezialwissen voraussetzt, ist nicht
gewährleistet.
Unterstützung aus den Ländern
Es gibt auch keine adäquaten Ressourcen für Forschung. Dabei hätte
gerade Österreich die wissenschaftliche Expertise, um die weltweite
CED-Forschung anzuführen. Reinisch: "Ohne landesweite Gesamtstrategie
und realistische Ressourcen werden auch in Zukunft viele
CED-Betroffene zu spät erfasst und nicht optimal behandelt werden.
Die Kostenspirale wird weiter steigen."
Rückenwind erhält er von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller aus
Salzburg - die gemeinsam mit Landeshauptmann Erwin Pröll (NÖ) und
Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (Wien) die Schirmherrschaft des
CED-Forums übernommen hat: "Um den Betroffenen zu helfen, müssen
konkrete politische Schritte gesetzt werden - wie wir das von
Salzburg aus versuchen. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, eine
gemeinsame Strategie zu entwickeln - im Interesse und zum Wohl jener
Menschen, die unsere Hilfe brauchen."
Rasche Diagnose - aussichtreiche Therapie
In Österreich erfolgt eine exakte Diagnose bei CED im Durchschnitt
erst nach 3,1 Jahren - bei Morbus Crohn dauert es oft bis zu fünf
Jahren. "Diesen Zeitraum müssen wir deutlich reduzieren", so
Reinisch. "Je früher die Behandlung einsetzt, umso positiver kann der
Krankheitsverlauf gesteuert werden. Zielgerichtete Therapien wie
TNF-alpha-Blocker, die den Verlauf ganz entscheidend beeinflussen und
auch für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung
stehen, können die Lebensqualität deutlich erhöhen, den Bedarf an
Operationen senken und die Lebenserwartung verbessern."
Bei der Erstdiagnose soll seit Jänner 2010 ein weltweit
einzigartiges, in Österreich entwickeltes online-Tool helfen:
www.ced-check.at. Anhand von 10 gezielten Fragen zu Anamnese und
Symptomatik wird dem erstversorgenden Arzt ermöglicht, CED frühzeitig
in die engere Auswahl an Ursachen für Darmprobleme einzubeziehen und
PatientInnen einer raschen weiteren Abklärung zuzuführen. Denn späte
Diagnose und Behandlung rächen sich bei CED besonders.
"Menschen mit Verdacht auf CED gehören umgehend zum Spezialisten -
extremer Durchfall ist so heikel wie Herz-Kreislauf-Symptome", sagt
Renner. Störungen des Verdauungstraktes sind in Österreich die
häufigste Ursache für stationäre Spitalsaufnahme. "Einen wesentlichen
Anteil daran haben die CED. Die einzige Möglichkeit, diese
Konsequenzen zu mildern bzw. zu verhindern ist die rasche,
fachgerechte Diagnose und Therapie."
Das CED-Tabu brechen
Renner: "Wir arbeiten intensiv mit den AllgemeinmedizinerInnen und
anderen Fächern, um den Blick dafür zu schärfen, wann eine
CED-Erkrankung vorliegen könnte. Nur wenn das Zusammenspiel zwischen
Hausarzt, Facharzt, Patient und auch dessen Umfeld funktioniert
können wir Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirksam behandeln, ein
Leben in guter Qualität ermöglichen und dem Staat Budget sparen
helfen."
Sonja Wehsely, Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Wien:
"Wir müssen das enorme Tabu rund um CED aufbrechen. Information hilft
dabei - deshalb bin ich froh über aufklärende Initiativen wie das
Österreichische CED-Forum in Wien. Sie helfen, das Schweigen zu
durchbrechen."
Aufklärung und Beratung ist auch ein Kernanliegen der ÖMCCV.
Breitenberger: "Wir müssen die Informationsarbeit in Österreich
verzehnfachen, die Vorurteile und das Tabu um CED auflösen.
Veranstaltungen wie das CED-Forum schaffen Bewusstsein. Sie bauen
Sprachlosigkeit ab - damit Betroffene sich wieder 'ins Leben hinaus'
trauen. Sie zeigen, dass man mit CED gut leben kann - wenn der
Zugang, das Umfeld und die medizinische Unterstützung stimmen."
Rückfragehinweis:
+ Fotos:
Oliver Stohlmann, Tel.: 0664 88603050, mailto:os@stohlmann.com
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