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"Die Presse am Sonntag"-Leitartikel: So provinziell sind wir auch wieder nicht, von Christian Ultsch
Ausgabe vom 08.11.2009
Wien (OTS) - Österreich ist nicht zuletzt dank der Wende 1989
weltoffener und moderner geworden. Doch es gibt noch immer
hinterwäldlerische Schattenreiche: Die politische Klasse bewegt sich
unter Niveau des Landes.
Österreich und 1989, das ist, wie so vieles in diesem Land, eine
ambivalente Geschichte. Erst weinten alle gerührt vor den
Fernsehapparaten mit, als die Ossis in ihren Trabis durch die
Berliner Mauer tuckerten, dann war vielen der in voller Größe
wiedererstandene deutsche Riese anfangs doch nicht geheuer. Erst gab
es freie Fahrt in Bus und Bim für hunderttausende tschechische
Nachbarn, die auf einmal frei nach Wien reisen durften, dann kam das
Antiausländervolksbegehren. Erst eroberten heimische Unternehmen die
neuen Märkte im Osten und kurbelten damit auch das
Wirtschaftswachstum in Österreich an, dann schotteten diverse
Regierungen den österreichischen Arbeitsmarkt ab.
1989 und der Fall des Kommunismus machten für das neutrale Österreich
den Weg frei in die Europäische Gemeinschaft, den die Sowjetunion
zuvor jahrzehntelang blockiert hatte. Es rückte vom Rand ins Zentrum
Europas. Das hat das Land spürbar durchlüftet, offener und moderner
gemacht. Trotzdem hat die Europaskepsis in Österreich, dem Profiteur
der Osterweiterung, eine Heimat gefunden. Nur 41 Prozent der
Bevölkerung halten die Mitgliedschaft in der EU für eine gute Sache.
Es gab und gibt eine Gegenreaktion zur Öffnung.
Geistiger Verlust. Die Weltoffenheit, zu der Österreich als kleines
exportabhängiges Binnenland ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen
geradezu gezwungen ist, hatte schon immer eine hinterwäldlerische
Nachtseite. Das Lamento über den Provinzialismus gehört zu den
seelischen Grundtonarten seit Bestehen der Republik, dieses
geschrumpften Rests eines einstigen Großreichs. Wirklich dramatisch
wurde der geistige Verlust, als die Nazis 1938 die jüdische
Intelligenz vertrieben. Davon hat sich dieses Land nie erholt.
Seither leidet es an intellektuellen Phantomschmerzen.
Und trotzdem wäre es verzerrend, aus ganz Österreich eine dumpfe
Provinz zu machen. Kein Land außer Liechtenstein hat einen höheren
Anteil an Erasmus-Studenten, die im Ausland lernen. Mindestens
470.000 Österreicher leben in der Fremde. Künstler, Wissenschaftler,
Wirtschaftstreibende - sie alle sind global vernetzt. Die neuen
Maturanten können mindestens zwei Fremdsprachen. Österreich ist viel
internationaler, als es manchmal scheint.
Unter Niveau. Umso erschreckender ist, wie provinziell manche
Bereiche geblieben sind. Und dazu gehören leider auch weite Teile der
Medien und der Politik. Was inzwischen für jeden Angestellten in
einem Mittelunternehmen selbstverständlich ist, gilt noch immer nicht
für alle politischen Spitzenkräfte dieser Republik: Einzelne
Mitglieder der jetzigen Bundesregierung können so schlecht Englisch,
dass sie Nachhilfe brauchen. Andere haben eine Aussprache wie ihre
Großväter.
Man merkte es bei der Posse um die Entsendung eines EU-Kommissars
nach Brüssel: Internationalität war kein Kriterium bei der Bildung
dieser Regierung. Das ist nicht überall so. Griechenland etwa hat mit
George Papandreou einen Premier, der lange in den USA und in Schweden
gelebt hat. Zu seinem Außenminister dürfte der Sozialdemokrat
demnächst den 41-jährigen Dimitris Droutsas ernennen, der an der
Wiener WU unterrichtet hat und später Rechtsberater in Wolfgang
Schüssels Kabinett war. Frankreich hat eine Finanzministerin, die in
Amerika gearbeitet hat; Polen einen Außenminister, der in England
studierte.
In Österreichs Politik ist Auslandserfahrung kein Wert. Die
Parteienwelt bewegt sich damit unter dem Niveau des Landes. Das liegt
auch am Auswahlverfahren. Es wäre hilfreich, wenn es in Österreich
öffentliche Hearings für angehende Minister gäbe, in denen sie
öffentlich auf die Eignung für ihr Amt abgetestet werden. Denn 20
Jahre nach der Wende könnten langsam die letzten Nischen in
Österreichs provinziellem Schattenreich mit Licht durchflutet werden.
Rückfragehinweis:
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