- 03.11.2009, 15:26:56
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Menschenrechtsgerichtshof urteilt gegen Kreuze in Klassenzimmern
Aufregung in Italien über ein EGMR-Urteil, das einer aus Finnland stammenden italienischen Bürgern recht gab - "Diese Richter sollen sich schämen" - Vorerst keine Reaktion aus dem Vatikan
Straßburg-Rom, 03.11.2009 (KAP) Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) hat am Dienstag festgestellt, dass Kruzifixe
in Klassenzimmern öffentlicher Schulen nicht mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind. In einem Verfahren
gegen die Republik Italien stellte der Gerichtshof eine Verletzung
von Protokoll 1, Artikel 2 (Recht auf Bildung) in Verbindung mit
Artikel 9 (Religionsfreiheit) der EMRK fest. Die Klage war von der
aus Finnland stammenden italienischen Bürgerin Soile Lautsi
eingereicht worden, die 2002 vom Gymnasium "Vittorino da Feltre" in
Abano Terme - wo ihre beiden Kinder die Schule besuchten - verlangt
hatte, dass die Kreuze aus den Klassenzimmern verschwinden müssten.
Das Urteil des EGMR sieht vor, dass die Republik Italien der
Klägerin 5.000 Euro als Ausgleich für den "moralischen Schaden"
zahlen muss. Die Pressestelle des Gerichtshofs betonte ausdrücklich,
dass es sich um das erste Urteil im Hinblick auf die Anbringung
religiöser Symbole in Klassenzimmern handle.
Die Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs erfolgte einstimmig.
Die Richter erklärten, Kruzifixe seien eindeutig ein religiöses
Symbol. Dies könne für Kinder, die anderen oder keiner Religion
angehören, "verstörend" wirken. Das Recht, ohne Religion zu sein,
gehöre zur Religionsfreiheit. Der Staat müsse dieses Recht besonders
schützen.
Besonders im Bereich von Bildung und Erziehung müsse der Staat auf
die konfessionelle Neutralität achten, erläuterten die Richter. Mit
dem Kreuz werde das Recht der Eltern eingeschränkt, ihre Kinder
gemäß ihren Überzeugungen zu erziehen. Auch das Recht der Kinder, zu
glauben oder nicht zu glauben, werde dadurch verletzt.
Die italienische Regierung wird gegen das EGMR-Urteil Berufung
einlegen. Wenn die Berufung nicht akzeptiert wird, würde das Urteil
innerhalb von drei Monaten definitiv werden. Danach müsste das
Ministerkomitee des Europarates innerhalb von sechs Monaten
entscheiden, welche Maßnahmen die italienische Regierung zu treffen
habe.
Der Vatikan wollte am Dienstag zunächst nicht Stellung nehmen. Der
Pressesprecher des Heiligen Stuhls, P. Federico Lombardi SJ, sagte,
es bedürfe einer Nachdenkphase bevor es einen Kommentar geben könne.
In der italienischen Politik gab es überwiegend scharfe Kritik an
dem EGMR-Urteil. Unterrichtsministerin Mariastella Gelmini sagte,
das Kruzifix im Klassenzimmer bedeute nicht "Zustimmung zum
Katholizismus", sondern sei "Symbol der italienischen Tradition".
Landwirtschaftsminister Luca Zaia drückte sich noch deutlicher aus:
"Ich stimme allen zu, die sich als Gläubige oder Nichtglaubende
durch dieses abstrakte und vorgeblich demokratische Urteil beleidigt
fühlen". Der EGMR beleidige die "Gefühle der europäischen Völker,
die aus dem Christentum entstanden sind". Wörtlich sagte Zaia: "Ohne
Christentum gäbe es kein Europa. Die Leute, die eigentlich bestellt
sind, das Gemeinwohl zu wahren, bemühen sich, unsere Kultur aus den
Angeln zu heben. Sie sollen sich schämen".
Das EGMR-Erkenntnis sei "absurd", sagte Gabriella Carlucci, die
Vorsitzende der gemeinsamen Kommission von Abgeordnetenhaus und
Senat für die Kinderrechte. Sowohl das zuständige Verwaltungsgericht
(TAR) als auch der Staatsrat hätten darauf hingewiesen, dass das
Kruzifix "Symbol der italienischen Geschichte und Kultur" ist und
damit auch der Identität des Landes und der Garant der Prinzipien
der Gleichheit, Freiheit und Toleranz.
Pier Ferdinando Casini, Vorsitzender der christdemokratischen UDC,
bezeichnete in einem RAI-Interview das Straßburger Urteil als eine
Konsequenz der "Ängstlichkeit" der Regierenden Europas, die sich
einer Nennung der christlichen Wurzeln in der europäischen
Verfassung verweigert hätten. Wörtlich sagte Casini: "Das Kruzifix
in den Klassenzimmern hat niemals die Religionsfreiheit verletzt,
auch nicht das freie Bekenntnis der verschiedenen religiösen
Überzeugungen. Dieses Symbol ist ein gemeinsamer Besitz aller
italienischen Bürger, weil es das Zeichen der christlichen Identität
Italiens und Europas ist".
Die Kruzifixe sind in den italienischen Klassenzimmern erst seit
Erlässen des damaligen Unterrichtsministers Giovanni Gentile in den
zwanziger Jahren wieder vorgeschrieben. Im "liberalen" Italien hatte
es ab 1888 weder Kruzifixe in den Klassenzimmern noch
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gegeben.
(ende)
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