Ausgabe vom 17.10.2009
Wien (OTS) - Die SPÖ fürchtet eine Neiddebatte. Genau so hat die
Bourgeoisie immer gegen Arbeitnehmerrechte gekämpft.
Andreas Schieder, Staatssekretär im Finanzministerium, ist gegen ein
"Transferkonto", wie es sein Ressortchef Josef Pröll vorgeschlagen
hat. Das würde nur eine "Neiddebatte" schüren, meint Schieder.
Gleichzeitig rät er dem Regierungspartner, weniger auf die
Sozialleistungen für die Bedürftigen zu schauen und mehr auf die
fetten Prämien der Manager.
Das bedeutet immerhin, dass Andreas Schieder den Sinn des
Pröll-Vorschlages verstanden hat.
Die "Neiddebatte", vor der sich der Staatssekretär mit dem Habitus
des Parteisekretärs fürchtet, muss ja nicht erst künstlich geschürt
werden. Sie ist längst im Gang, und zwar vollkommen zu Recht: Der
Unterschied zwischen den niedrigen Arbeitseinkommen und jenen
Einkommen, die man in Kenntnis aller Pfade durch den österreichischen
Beihilfendschungel von Bund, Ländern und Gemeinden erzielen kann,
ohne einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ist eine gefühlte Null.
Würde man das "Transferkonto" in einigen exemplarischen Fällen dazu
benutzen herauszufinden, was sich da an Beihilfen auf allen Ebenen
aufsummieren kann, so erbrächte das zwei mögliche Ergebnisse:
Entweder es zeigte sich, dass die gefühlte Null eine gefühlsmäßige
Täuschung ist. Und dass die Wirkung der Transferleistungen, die in
den Armutsstatistiken der Menschlichkeitsindustriellen von Wifo und
Caritas üblicherweise nicht aufscheinen (!!), tatsächlich so gering
ist, dass zu Neid kein Anlass besteht. Oder aber es zeigte sich, dass
Prölls Verdacht zutrifft, wonach es heute schon Steuerzahlerfamilien
gibt, die über weniger Einkommen verfügen als
Nichtsteuerzahlerfamilien.
Der Neid der betroffenen Familien wäre eine vollkommen verständliche
Reaktion auf die Fakten. So wie auch der Neid vieler Arbeitnehmer im
Niedriglohnbereich, die sehen, dass arbeitslose Kollegen mit ein paar
Stunden Pfusch die Woche auf dasselbe Geld kommen. Und auch noch
erklären, sie seien doch nicht dämlich, wegen der paar hundert Euro
Unterschied zwischen Lohn und Arbeitslosengeld 40 Stunden in der
Woche zu buckeln. Auch der Neid junger Arbeitnehmer, die mit
spärlichen Einkommen wachsende Familien zu ernähren haben, auf die
Pensionisten ist gerechtfertigt.
Vielleicht begreifen geistig flinkere Sozialdemokraten beizeiten, was
ihr lustiger Finanzstaatssekretär ihnen mit seinem Hinweis auf die
"Neiddebatte" angetan hat: Genau das war das Argument der Bourgeoisie
gegen jeden Versuch der Arbeitnehmerbewegung, eine gerechte
Beteiligung aller am wirtschaftlichen Erfolg einer Gesellschaft zu
erreichen.
Es gibt eine Rechtfertigung für den Neid: den Kampf um Gerechtigkeit.
Und so gesehen ist es kein Wunder, dass heute ein postmoderner
Karrieresozialdemokrat den Wunsch von jungen arbeitenden Menschen,
sich den gerechten Anteil am von ihnen miterwirtschafteten Wohlstand
gegen die Ansprüche der Nutznießer einer aus den Fugen geratenen
Versorgungsbürokratie zu sichern, mit derselben Terminologie
bekämpft, mit der die Industriellen des 18. und 19. Jahrhunderts die
Arbeiterbewegung bekämpften.
Was Josef Pröll in seiner Rede angesprochen hat, ist in der Tat die
Zukunftsfrage schlechthin: Was heißt Gerechtigkeit? Gerechtigkeit
heißt heute mehr als je zuvor Generationengerechtigkeit. Die
Sozialleistungen und Pensionen von heute werden mit Zwangskrediten
bezahlt, die wir unseren Kindern aufbürden.
Wen es interessiert, der soll sich weiter den Kopf darüber
zerbrechen, ob Herr Pröll nun als Kanzlerkandidat oder als
Finanzminister gesprochen hat, was es bedeutet, dass die Chefin der
Spanischen Hofreitschule in der ersten Reihe gesessen ist, und ob
Herr Faymann jetzt böse, geschwächt oder eh immer noch freundlich
ist.
Wirklich entscheidend ist die Erkenntnis, die wir der vollkommenen
Offenheit eines sozialdemokratischen Staatssekretärs verdanken: Die
Konservativen von heute sitzen in der SPÖ, und sie verteidigen die
nicht aus eigener Leistung begründeten Ansprüche einer privilegierten
Minderheit. Die Freiheitskämpfer von heute, die für ihre Arbeit einen
gerechten Anteil am Gesamtertrag fordern, haben keine politische
Vertretung. Weil die ÖVP sich ständig sozialdemokratisiert hat, weil
die Grünen lange genug gewartet haben, um auch eine Partei der Alten
sein zu können, und die Freiheitlichen sich zwischen Links- und
Rechtspopulismus nicht entscheiden können.
Mit Josef Prölls Rede ist das Thema wieder auf dem Tisch. Jetzt heißt
es, sich zum Neid zu bekennen. Sonst wird es nichts mit der
Gerechtigkeit.
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