- 21.08.2009, 17:59:41
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DER STANDARD-Kommentar "Eine Schande mitten in Europa" von Alexandra Föderl-Schmid
"Faymanns Nichteinmischung in die Ortstafelfrage ist eine Bankrotterklärung" - Ausgabe 22.8.2009
Wien (OTS) - Werner Faymann (SPÖ) drückt sich vor der
Verantwortung, wenn er die Ortstafelfrage nicht endlich anpackt. Die
unmittelbaren Vorgänger des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel (VP) und
Alfred Gusenbauer (SP) haben zumindest eine Lösung versucht und
Modelle vorgeschlagen. Dass der Regierungschef nun mitteilt, er
erwarte, dass eine Lösung gefunden werde, ist naiv.
Seine Ankündigung "Wenn die Mehrheit der Kärntner Parteien zu einer
gemeinsamen Vorgehensweise findet, wird die Bundesregierung in Wien
die weiteren Schritte setzen" ist sogar eine Bankrotterklärung für
die Bundespolitik. Faymanns Nichteinmischungsankündigung stärkt das
"Wir sind Wir"-Gefühl im Freistaat und die "Los von Wien"-Stimmung.
Damit können sich auch all jene bestätigt fühlen, die behaupten, in
Wien beschlossene Gesetze und dort gefällte Urteile haben in Kärnten
nicht unbedingt zu gelten. Oder: Diese Frage geht den Rest
Österreichs und vor allem Wien nichts an.
Folgen gibt es ja keine - wie auch die Einstellung des Verfahrens
wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen den Kärntner
Landeshauptmann Gerhard Dörfler (BZÖ) zeigt. Dass die von der ÖVP
gestellte Justizministerin Claudia Bandion-Ortner die Einstellung für
"vertretbar" hält, weil "kein Schädigungsvorsatz" vorliege, ist nicht
nur unter Juristen umstritten. Auch wenn die Kärntner Slowenen, wie
sie selbst sagen, kein subjektives Recht auf zweisprachige Ortstafeln
haben, so müsste die Angelegenheit vor Gericht landen, weil ein Staat
darauf pochen kann, dass seine Gesetze eingehalten werden. Das wird
von seinen Bürgern verlangt.
Wenn man sich in Wien entschließen würde, den Glauben an den
Rechtsstaat wieder herzustellen, der durch diese Vorgänge erheblichen
Schaden erlitten hat, dann könnte man auch eine Ministeranklage ins
Auge fassen. Von der Bundesregierung kann ein Mitglied einer
Landesregierung angeklagt werden - wegen Gesetzesverletzung oder
wegen Nichtverfolgung einer Verordnung oder Weisung des Bundes. Die
Möglichkeiten dazu sind gegeben, man muss sie nur nutzen. Die
Ortstafelfrage ist nicht nur juristisch zu sehen, sondern sie ist
auch eine politische Angelegenheit. Insofern darf die Causa nicht
Staatsanwälten überlassen werden.
Die Reaktionen der Kärntner Parteien - mit Ausnahme der Grünen -
zeigen, dass sich auch dort dem Thema niemand annehmen will. Wenn
Faymann meint, eine Lösung in der Ortstafelfrage sei nur "bei breitem
Konsens in Kärnten möglich", dann wird nicht nur er lange darauf
warten. Minderheitenrechte sind nicht verhandelbar.
Es ist kein lokales Kärntner Problem sondern ein Problem für ganz
Österreich. Und darüber hinaus: Einem Belgier zu erklären, warum es
ein Problem darstellt, zweisprachige Ortstafeln aufzustellen, ist
unmöglich. Gleiches gilt für die multilingualen Schweizer. In
Ostdeutschland gehören zweisprachige Tafeln, auf denen die Ortsnamen
auch auf Sorbisch geschrieben werden, zum Alltag. Und seit dem Jahr
2000 im Burgenland in 47 burgenländisch-kroatischen und vier
burgenländisch-ungarischen Gemeinden. Befürchtungen, dass es wie
in_Kärnten 1972 zu einem Ortstafelsturm kommen könnte, haben sich
dort nicht bewahrheitet.
Der Verweis auf Ereignisse vor 37 Jahren gilt nicht mehr: Inzwischen
ist Österreich ein Teil der EU, Slowenien ebenso. Offene Grenzen,
Vielfalt und Mehrsprachigkeit sollten im 21. Jahrhundert eine
Selbstverständlichkeit sein, die deutsch-nationale
Grenzland-Gesinnung mit antislawischen Ressentiments wird in Kärntner
aber noch immer gepflegt. Dass Rechte, die der Staatsvertrag seit
1955 den Slowenen in Österreich zusichert, noch immer nicht umgesetzt
sind, ist eine Schande.
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Der Standard
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