- 10.08.2009, 11:31:19
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Es muss eine nüchterne Debatte über Abtreibung geben
Wiener Lebensschutzbeauftragte Stephanie Merckens plädierte in "Furche"-Streitgespräch mit dem Gynäkologen Christian Fiala dafür, die "Fanatiker auf beiden Seiten" in der Diskussion außer Acht zu zu lassen
Wien, 10.08.2009 (KAP) Zu größerer Nüchternheit in der Debatte um
das Thema Abtreibung hat die (derzeit wegen ihrer Kandidatur in
Oberösterreich karenzierte) Lebensschutzbeauftragte der Erzdiözese
Wien, Stephanie Merckens, aufgerufen. In einem
"Furche"-Streitgespräch mit dem Gynäkologen und Leiter des
Gynmed-Ambulatoriums in Wien, Christian Fiala, riet Merckens, dass
man "die Fanatiker auf beiden Seiten" in der Diskussion außer Acht
lassen sollte. Zugleich plädierte sie für eine Motiverhebung, um
heraus zu finden, was Frauen genau zu einem Schwangerschaftsabbruch
veranlasse und was etwaige unterstützenden Maßnahmen wären. Eine
solche Motiverhebung hatte der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky
bereits aus Anlass der Einführung der Fristenregelung zum 1. Jänner
1975 als eine der "flankierenden Maßnahmen" zugesagt.
Selbst bei unerwarteten Schwangerschaften, die bei den betroffenen
Frauen durchaus Gefühle der "Panik" auslösen können, dürfe der
Abbruch nicht als "Lösung" betrachtet werden, so Stephanie Merckens.
Denn das bedeute, dass sich eine Frau gegen ihr Kind stellen muss.
Es sei "nicht die ganze Wahrheit", wenn man den Frauen suggeriere,
dass ihr Leben nach einer Abtreibung "genauso weitergehen kann wie
es vorher war". Viele Frauen fühlten sich vor und nach einer
möglichen Abtreibung allein gelassen und seien noch dazu zu wenig
informiert über mögliche Alternativen zu einem
Schwangerschaftsabbruch. Man müsse sich für diese Frauen Zeit nehmen
und klären, ob die Abtreibung wirklich ihre eigene Entscheidung ist
oder ob sie damit Probleme lösen, die andere - Eltern, Partner,
Arbeitgeber - mit ihrem Kind haben. Über die Gründe der Probleme der
Frauen werde noch immer nicht gesprochen. "Wo sind Sie", fragte
Merckens im Streitgespräch den Gynäkologen Fiala, "wenn die Frauen
Sie vorher brauchen? Oder wenn die Frauen sich nachher fragen, ob
das die richtige Entscheidung war?"
Eine mögliche Präventivmaßnahme sieht Stephanie Merckens in einer
besseren Sexualerziehung. Den Kindern müsse beigebracht werden,
"dass Sexualität nicht nur Geschlechtsverkehr ist". Sexualerziehung
sei "dann sinnvoll, wenn sie Kindern hilft, liebende Menschen zu
werden". Man dürfe dabei den Kindern "nichts vorlügen: Sex hat immer
noch etwas mit Kinderkriegen zu tun".
Der Gynäkologe Christian Fiala bezeichnete dagegen den "freien
Zugang zu Verhütungsmitteln" und einen "legalen
Schwangerschaftsabbruch" als notwendige Schritte, um Frauen vor
unvorhergesehenen Schwangerschaften zu schützen. Nach Ansicht Fialas
kommt die Information über Verhütung in Österreich viel zu kurz.
Stephanie Merckens meinte dagegen, dass nach ihrer Erfahrung sehr
wohl über Verhütung gesprochen wird. Kondome würden ja jetzt schon
bei jedem zweiten Jugend-Event verteilt.
Die Forderung nach einer verpflichtenden Beratung für Schwangere vor
einem möglichen Schwangerschaftsabbruch lehnte Fiala ab: "Eine
Beratung, die verpflichtend ist, ist keine Beratung mehr, sondern
eine staatliche Unterweisung". Außerdem falle die Entscheidung für
oder gegen ein Kind in den meisten Fällen "ohnehin schon viel
früher", so Fiala. Wie der Gynäkologe meinte, liegen die Gründe für
einen Schwangerschaftsabbruch nicht in einer mangelnden
institutionellen Unterstützung der Mutter, sondern in einer
persönlichen Entscheidung, der Herausforderung nicht gewachsen zu
sein.
Wenn es - wie etwa in den USA - zu gewalttätigen Übergriffen von
Abtreibungsgegnern auf Gynäkologen komme, stellte Fiala auch die
katholische Kirche an den Pranger. Ohne Beweise zu haben, behauptete
er: "Die Verantwortung haben hier nicht nur Einzeltäter, sondern
auch Institutionen, wie leider auch die katholische Kirche, die
ideelle oder sogar finanzielle Unterstützung leisten". Auch in
Österreich würden Katholiken "Psychoterror" betreiben. Stephanie
Merckens, von Beruf Rechtsanwältin, konterte: "Wenn diese Menschen
etwas tun, womit sie gegen Gesetze verstoßen, haben Sie gesetzliche
Möglichkeiten, gegen diese Leute vorzugehen". Wenn nicht gegen
Gesetze verstoßen werde, sei das Auftreten dieser Leute "für oder
gegen etwas Bestandteil der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit".
"Fruchtsack" oder neues Leben?
Einen besonderen Streitpunkt markierte in dem Gespräch die Frage
nach dem Beginn des Lebens. Fiala meinte, dass er einen Embryo in
der fünften Woche, der "noch nicht einmal einen Herzschlag" habe,
nicht als Kind, sondern als "Fruchtsack" begreife. Wörtlich sagte
der Gynäkologe: "Da von einem Kind zu sprechen, ist entweder
Unwissenheit oder bewusste Unterstellung". Stephanie Merckens
hingegen betonte, dass es wissenschaftlich völlig klar sei, dass ab
der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein drittes Individuum
vorliege. Sie wies kategorisch das Fiala-Argument zurück, dass
"ohnehin 50 Prozent der befruchteten Eizellen sehr früh zu Grunde
gehen würden": "Was soll das Argument? Jede Frau, die ein Kind
verloren hat, weiß, dass sie ein Kind verloren hat, nicht einen
Fruchtsack. Es geht nicht um das Altersstadium, sondern um die
Beziehung, egal ob Embryo, Kind oder Erwachsener".
(ende)
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